Abschied von der Hardwareproduktion?

Abschied von der Hardwareproduktion? Siemens entläßt gut 20 Prozent der Computer-Systems- Belegschaft

12.03.1999
CW-Bericht, Jan-Bernd Meyer MÜNCHEN - Die Siemens AG wird im Unternehmenssegment Computer Systems (CS) in Deutschland von rund 5000 Mitarbeitern 1130 entlassen. Um die Organisationsstruktur zu verbessern, wird der CS-Bereich mit Wirkung zum 1. April 1999 zudem in die zwei selbständigen Geschäftseinheiten Enterprise und Volume Products unterteilt. Noch Spekulation ist, ob sich Siemens von seinen Produktionsstätten trennen will.

Die Personalreduzierungen betreffen ausschließlich Beschäftigte in Deutschland. Weltweit arbeiten im Computer- Systems-Bereich der Siemens AG rund 9000 Angestellte.

CS gehört zum Geschäftsbereich Information and Communication Products (ICP) der Siemens AG. In diesem faßt Siemens die Telefonaktivitäten des früheren PN-Bereichs, aber auch alle Computersysteme wie PCs, die Intel-basierten "Primergy"-Server unter Windows NT sowie die Unix-"RM"-Server zusammen. Auch die mit Mips-Risc-Chips rechnenden BS2000-Mainframes, die mit den RM- Geräten fast identisch sind, und die von Fujitsu stammenden Großrechner mit S/390-CMOS-CPUs gehören zum ICP-Bereich.

Siemens-Firmensprecher Eberhard Posner wollte im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE den Terminus Entlassungen nicht gelten lassen. Über eine normale Fluktuation, Frühpensionierungen oder Arbeitsplatzwechsel an andere Standorte ließen sich die in dem "Brief an alle CS-Mitarbeiter" als "sozialverträglich" verstandenen "Personalanpassungsmaßnahmen" vollziehen.

Personalabbau trotz guter Geschäfte

Widerspruch zu dieser Aussage kam prompt aus Betriebsratskreisen in Paderborn. Ganz eindeutig gehe es um Personalentlassungen und nicht um Personalverschiebungen im von Posner geäußerten Sinne. IG-Metall-Sprecher Wolfgang Müller von der Bezirkszentrale in München sagte ebenfalls, Siemens zeige den bezeichneten 1130 Mitarbeitern die rote Karte: "Siemens muß das jetzt halt öffentlichkeitsverträglich verpacken."

Betroffen sind in Paderborn 300, in München 350 und in Augsburg 180 Computer-Systems-Angestellte. Die restlichen 300 Entlassungen verteilen sich auf kleinere Standorte in Deutschland. Damit stehen hierzulande über 20 Prozent der CS-Arbeitsplätze zur Disposition.

Der Personalabbau kommt zu einem Zeitpunkt, da das Computergeschäft der Siemens AG sich nach den Worten von ICP- Sprecher Andreas Fischer erfreulich entwickelt. Im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres habe das Unternehmen in allen Computersegmenten - PCs, Intel-, Unix- und BS2000-Server - schwarze Zahlen verbucht. Sogar im schwierigen Geschäft mit Großrechnern (BS2000) konnte Siemens durch neugewonnene Kunden glänzen.

Trotzdem regiert jetzt die harte Hand. Die Unterzeichner des internen Mitarbeiterschreibens, Robert Hoog und Joachim Malterer, resümieren: "Die Verbesserung unserer Kostensituation ist nicht ohne Personalreduzierungen möglich. Davon werden alle Funktionen unseres Geschäfts (des ICP-Bereichs, Anm. d. Red.) betroffen sein. Also Administration, Forschung und Entwicklung, Produktion, Marketing, Logistik und Vertrieb."

Zur Analyse der Kostensituation des CS-Geschäfts einschließlich der Siemens PC-Systeme GmbH & Co KG (PCS) in Augsburg hatte der bayerische Elektrokonzern die Unternehmensberater von A. T. Kearney ins Haus geholt. Ergebnis der Untersuchungen: Schlüsselprozesse und Entscheidungswege hätten nicht die notwendige Durchgängigkeit. Diesem Übel soll die Neuordnung der CS-Organisationsstruktur in die Geschäftseinheiten Volumen und Enterprise nun abhelfen. Dem Massenmarkt (Volume Products) zugeordnet sind künftig die PCs sowie Windows- NT-Server. Unter die Enterprise-Products-Division fallen die Unix- und BS2000- Maschinen sowie Massenspeichersysteme.

Es bleibt die Frage nach der langfristigen Zukunft der im Geschäftsbereich ICP zusammengefaßten CS-Computersparte. Die hochmoderne PC-Fertigung in Augsburg steht zum Verkauf. Spätestens seit den geplatzten Verhandlungen mit Acer ist klar, daß Siemens einen Geschäftspartner sucht, der das in die Ehe mitbringt, was die Bayern selbst nicht bieten können: große Stückzahlen in einem Industriesegment, dessen Produkte sich im wesentlichen gleichen.

Für Siemens wie für andere Computerhersteller stellt sich dabei die Frage, ob es noch Sinn gibt, die Computer in teuren Produk- tionsstätten selbst zusammenzubauen. Nach Luis Praxmarer, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Meta Group, sind Firmen heutzutage gezwungen, ihr Geschäftsmodell kritisch zu durchleuchten: "Was ist meine Kernkompetenz? Selbst Computer zu produzieren oder zusammenzuschrauben?" Oder sollte sich, überlegt der Meta-Group-Mann, eine Firma wie Siemens nicht besser auf das Integrations- und Lösungsgeschäft konzentrieren?

Hinweise darauf, daß die Münchner vor allem am Integrationsangebot ihres Kommunikations- und Informationstechnologie-Know-hows für Kunden interessiert sind, gaben Siemens-Manager zuhauf. Spätestens mit der Siemens-internen Umstrukturierung und der Neuschaffung des Konzernbereichs Information and Communication (IC) im Oktober 1998 wurde die Stoßrichtung deutlich.

Anfang dieses Jahres unterstrich IC-Chef und Siemens- Vorstandsmitglied Volker Jung vor der internationalen Fach- und Wirtschaftspresse noch einmal die Bedeutung der vergangenes Jahr vorgenommenen Restrukturierung: Mit den drei IC-Geschäftseinheiten Produkte (ICP), Netze (ICN) und Dienstleistungen (SBS) "verfügen wir als einziges Unternehmen über Kompetenz sowohl im Kommunikations- als auch im Informations-, also DV-Bereich".

Sucht Siemens Käufer für Fertigungsstätten?

Die Frage ist allerdings, ob abgesehen von der PC-Fertigung in Augsburg, die durch die PC-Systeme GmbH & Co KG (PCS) erledigt wird, auch für die anderen Produktionswerke in Paderborn (RM- und Mips-basierte BS2000-Maschinen) sowie in Avellina und Haubourdin Partner beziehungsweise Käufer gesucht werden.

Posner wies die Ausgliederung von Produktionsstätten an Dritte prinzipiell nicht von der Hand. Mit Acer habe man solch ein Modell ja durchexerzieren wollen. Insbesondere bei Volumenproduktionen seien solche Überlegungen legitim. Hier hingen die Kostenpositionen schließlich "nicht nur von eigenen Prozessen, sondern von der Massenbasis ab". Diese bestimme dann die Einkaufsmacht eines Unternehmens. Dies gelte prinzipiell für alle Produktsegmente der CS-Sparte.

Posner betonte aber, daß es zum jetzigen Zeitpunkt diesbezüglich keine konkreten Überlegungen und Gespräche gebe. Aber: "Man soll nie nie sagen." Eine Quelle in Paderborn sagte zu den Mutmaßungen, daß sich Siemens als Computerbauer verabschiede: "Genau das befürchten wir. Die Tendenz und die Ideologie, die jetzt in unserem Unternehmen vorherrscht, gehen genau in diese Richtung."

Die Überlegung, ob eigene Produktionsstätten für industrieweit kaum differenzierte Produkte wie PCs sowie Unix- und NT-Server für die Wertschöpfungskette eines Unternehmens noch tragbar seien, beantwortete Posner klar: "Für die längerfristige Entwicklung ist nur eine Frage ausschlaggebend: Kann man mit einer eigenen Fertigung noch einen angemessenen Gewinn erzielen?" Man mache in Augsburg zwar keine Verluste, "aber wir wissen, daß wir wegen der zu geringen Stückzahlen nicht mit weltmeisterlichen Konditionen arbeiten".

Meta-Group-Mann Praxmarer unterstreicht, daß Siemens mit seinem Computer-Hardware-Geschäft in Deutschland zwar exorbitant gute Geschäfte tätige, "weltweit bekommt das Unternehmen aber keinen Fuß auf den Boden". Als sogenannter Global Player sei man spätestens seit der Asienkrise abgemeldet. In den USA konnte Siemens mit Computern ohnehin nie reüssieren. Praxmarer: "Insofern kam Siemens auch nie wirklich in das Mengengeschäft rein."

Zumindest die PC-Fertigungsstätte in Augsburg hängt Siemens wie ein Klotz am Bein. Eine Insiderin sagte gegenüber der CW, zwar sei das Werk hochmodern, deshalb aber auch teuer. Wegen unterschiedlicher finanzieller Vorstellungen war der Deal zwischen Siemens und Acer bekanntlich gescheitert.

Schon im September 1998 hatte die COMPUTERWOCHE über ein Kaufinteresse von Fujitsu spekuliert. Während die Japaner auch heute entsprechende Gelüste postwendend dementieren, sieht die Branchenkennerin für die Company auch Vorteile: "Fujitsu ist mit seiner Fertigungsstätte in Sömmerda an der Kapazitätsgrenze. Sie könnten Augsburg, wenn es nicht so teuer wäre, also gut gebrauchen." Genau aus diesem Grund ist für Beate Hohmann, Analystin bei der Gartner Group Europe, Fujitsu allerdings kein Kandidat: "Die haben im Moment nicht die Finanzen, um große Sprünge zu machen."

Praxmarer glaubt, daß zwei Partner als Computerlieferanten für Siemens nützlich wären: "Einen für den unteren Produktbereich inklusive PCs und einen für das High-end-Segment, das würde strategisch Sinn ergeben."

Steht Siemens also vor dem Abschied als Computerbauer? Eine hochrangige Quelle bei Siemens, die anonym bleiben wollte, äußerte zu diesen Überlegungen, das Unternehmen habe ein Interesse daran, seinen Kunden den Bestand der Marke Siemens zu garantieren: "Braucht man dazu aber eine Produktion? Diese Frage muß noch untersucht werden."

Gartner-Analystin Hohmann sagte hierzu, ihr Marktforschungsunternehmen weise schon seit zwei Jahren darauf hin, daß die Herstellung von Technologie nicht als Kerngeschäft von Siemens anzusehen sei. Es sei völlig marktüblich, daß Unternehmen wie etwa auch IBM oder Compaq ein "selektives Outsourcing" betreiben, Teile der Produktion einkaufen. Unisys etwa erwerbe seine Server von Hewlett-Packard.

Wenn Siemens einen Partner finden würde, der den hohen Ansprüchen der Münchner an die Produktqualität entspreche, dann würde es nichts mehr bringen, selbst Computer zu bauen. Hohmann weiter: "Die Produktion wird immer unwichtiger. Das Thema für Unternehmen wie Siemens lautet Lösungskompetenz." Alle Hersteller trachteten danach, ihre Produktion strategisch auszulagern.

Zu Spekulationen, Siemens könnte in wenigen Jahren etwa seine Hochleistungs-Server von einem Spezialisten wie Sun Microsystems beziehen und die eigene Fertigung herunterfahren, sagte Hohmann: "Die Produktion selbst liegt Siemens nicht am Herzen. Sie wollen Lösungen auf den Markt bringen." Nach 2002, wenn die Mips- Plattform ausläuft, werde das Risiko höher, sich eine Siemens- spezifische Server-Plattform zu kaufen, weil "Siemens einfach nicht die Stückzahlen wie IBM, Sun oder HP hat".