Wie Führung in New-Economy-Firmen funktioniert

Abschied von der Basisdemokratie

23.07.2004
Flache Hierarchien, basisdemokratische Entscheidungen und kreatives Chaos sind auch in jüngeren Unternehmen passé. Wer die New Economy überlebt hat, bekennt sich zu klaren Strukturen. Die Führungskräfte müssen oft einen Spagat zwischen Mitbestimmung und autoritärer Mitarbeiterführung bewältigen.Von Magdalena Schupelius**

Jörn Peters* öffnet den Moderatorenkoffer. Dicke Filzer, Pappkarten, blau, rot, grün, gelb, alle Farben. "Schreiben Sie da drauf, was Sie vom Unternehmen erwarten, wohin die Reise gehen soll", ruft der Geschäftsführer der Berliner Multimediaagentur seinen 27 Mitarbeitern zu. Zwei Tage Workshop hat Peters seiner Firma verordnet, schließlich sollen bei der geplanten Neuausrichtung alle im Boot sein. Und die Kollegen gehen an die Arbeit. Kleingruppen entstehen. Kontroversen werden ausgetragen. Es gibt Kekse, Kaffee und Cola-Light. Schließlich hängen alle Ideen an der Wand: Systemadministrator Holger schlägt einen Ausbau des Intranets um eine Reihe von administrativen Funktionen vor. Ira aus dem Sekretariat hat Ideen, wie der Workflow verbessert werden kann. Den zweiten Abend beschließt eine kleine Party. "Jede Idee zählt", sagt der Chef, und kündigt ein Folgetreffen an. Die Teilnehmer sind sehr zufrieden.

Wunsch nach Mitbestimmung

Peters strukturierte das Unternehmen nach seinen Vorstellungen um, die Ideen aus dem Workshop verschwanden in der Schublade, das versprochene Folgetreffen stand nie statt. Der guten Stimmung unter den Mitarbeitern schadete das nicht. Auf den Workshop hätte man "auf keinen Fall verzichten können", versichert Peters, denn das Treffen hatte ihm geholfen, den Mitarbeitern das Gefühl der Mitbestimmung zu geben. In Wirklichkeit setzte der Chef aber seine eigenen Ideen durch.

Wirtschaftspsychologen haben festgestellt, dass Mitarbeiter klare Vorgaben ihrer Manager akzeptieren. Peters handelte also richtig, indem er die Stimmung in der Belegschaft des jungen IT-Unternehmens ernst nahm. "Von oben" getroffene Entscheidungen empfinden Angestellte automatisch als falsch. Mitbestimmung wird verlangt, unabhängig von der Frage, ob komplexe Entscheidungen in einer sich ständig beschleunigenden und globalisierten Ökonomie Mitbestimmung überhaupt vertragen. "Das führt zu einem Abstimmungs- und Absicherungszwang nach dem Motto: Ist auch jeder gefragt worden?", stellt Klaus Eidenschink, Leiter des Münchner Coaching-Zentrums Hephaistos, fest. Auch die Führungskräftetrainerin Dagmar Säger aus Hamburg weist auf den Widerspruch hin: "Die Mitarbeiter wollen einerseits in den Entscheidungsprozess eingebunden werden. Andererseits wünschen sie klare Vorgaben."

Für Teamleiter und Projektverantwortliche in jungen Unternehmen ist die Situation verfahren: Mitarbeiter, die von Anfang an dabei waren und Aufbauarbeit geleistet haben, sind nicht bereit, Mitspracherechte abzugeben. Aber gerade die New-Economy-Firmen, die so neu inzwischen gar nicht mehr sind, müssen in einem hoch dynamischen Markt entscheidungsstark auftreten und schnell reagieren, um bestehen zu können.

Dabei bleibt oft keine Zeit mehr, um auf die Vorstellungen einzelner Mitarbeiter einzugehen. "Das Regelwerk des Marktes hat inzwischen gegriffen", sagt Pia Schaf, Geschäftsführerin der Hamburger Agentur für Online-Kommunikation Comunit. So sind auf dem IT-Arbeitsmarkt inzwischen mehr Fachleute verfügbar, als es offene Stellen gibt. Vor dem Hintergrund rasanter technologischer Fortschritte und hoch differenzierter Käufermärkte können Unternehmen sich die einst hoch gepriesenen "flachen Hierarchien" und das "kreative Chaos" nicht mehr leisten. Die Unternehmenskultur der New Economy verfehle ihr Ziel, ergab denn auch eine gemeinsame Studie vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI), McKinsey und der Technischen Universität Berlin. Am schnellsten bekamen solche Firmen das zu spüren, die sehr stark wuchsen.

Workshops ähneln Showveranstaltungen

"In einem 50-Mann-Betrieb ist Face-to-face-Führungskultur einfach nicht mehr möglich", sagt Ralf Steinle, Projekt-Manager bei Connexx-av, dem Medien- und IT-Ableger der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Dessen Boom-Zeit begann mit dem Niedergang der New Economy. "Gut 100 Betriebsräte wurden da gegründet, manchmal zwei bis drei pro Woche", erinnert sich Steinle. Doch viele Unternehmen sind mitsamt Betriebsrat inzwischen vom Markt verschwunden. Die Zahl der Neugründungen von Betriebsräten habe sich mittlerweile "stark normalisiert". Offenbar setzen junge Firmen eher auf andere Modelle der Mitsprache.

Heute herrscht Konsens darüber, dass Firmen ohne eine klare hierarchische Struktur Schwierigkeiten bekommen. "Unternehmen werden nicht demokratisch, sondern lösungsorientiert geführt", sagt Geschäftsführerin Schaf. Auch Doris Brockel, Personal-Managerin des Mobile-Marketing-Anbieters Mindmatics, ist überzeugt: "Der Kreis der Entscheidungsträger muss klein bleiben." Inwieweit die Kompetenzen des Einzelnen formal festgelegt werden, hängt sehr von der jeweiligen Firma ab. Schaf plädiert für klare Regeln: "Ein starker Organisationsrahmen ist die Voraussetzung, um sich rein sachlich mit Projekten beschäftigen zu können." Mitarbeiter, die ihre Zuständigkeiten nicht kennen, seien unterschwellig mit Abgrenzungen beschäftigt, nicht aber mit der Sache.

Im Bemühen um klare Strukturen folgen die jungen Firmen heute den Traditionsunternehmen. Mindmatics etwa hat ein Bewertungssystem für Mitarbeiter eingeführt. Die Hamburger Internet-Agentur Sinner Schrader entwickelte ein Feedback-System für ihre 135 Mitarbeiter. In Einzelgesprächen vereinbart der Vorgesetzte mit dem Mitarbeiter klare Ziele, deren Erreichung kontrolliert wird.

Eine der großen Herausforderungen bei dieser konservativen Wende besteht darin, Menschen zu finden, die bereit sind, die Neuerungen auch durchzusetzen. Laut Coach Eidenschink wollen sich Mitarbeiter nicht mit Entscheidungen identifizieren, denen sie nicht vollständig zustimmen. Noch geringer ist die Zahl derjenigen, die Beschlüsse offen gegen andere durchsetzen können. Also wird indirekt um die Zustimmung der Beschäftigten geworben. Mitarbeiterbefragungen und Workshops haben Hochkonjunktur; oft bleibt aber unklar, welchem Zweck sie dienen: Sind es Showveranstaltungen mit Motivationscharakter, oder geht es um Mitbestimmung und gemeinsame Strategiediskussion?

Bei Mindmatics entsendet jede Abteilung zwei Kollegen in ein Team, das Mitarbeiterveranstaltungen vorbereitet und organisiert. Das soll dafür sorgen, dass "die Ideen Einzelner besser gehört werden", so Personalfrau Brockel. Auch bei Sinner Schrader wird Mitbestimmung praktiziert. Das Unternehmen entwickelte auf Basis einer Mitarbeiterbefragung einen Leitfaden zur Unternehmenskultur. Als die Restrukturierung der Agentur anstand, konnten alle Angestellten in einem Online-Forum über die geplanten Veränderungen diskutieren. Die Mitarbeitervertretung von Sinner Schrader hat laut Carsten Marquardt auch in Personalangelegenheiten ein Mitspracherecht. Allerdings verfügt sie im Unterschied zu einem Betriebsrat über keinerlei juristische Handhabe: "Wir wollen den Entscheidungsprozess transparent und nachvollziehbar machen", erklärt der Personalchef.

Ob sich Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen verbunden fühlen, hängt zu einem Gutteil von der erlebten Führungsqualität ab. Das ergab eine Studie des Marktforschungsinstituts TNS zum Zusammenhang von Führungsstil und Mitarbeitermotivation. Für einen Großteil der Befragten war die erlebte Führungsqualität das entscheidende Bindungselement. Sowohl die Manager, die einen reinen "Laissez-faire"-Stil praktizieren, als auch diejenigen, die autoritär führen, erreichen ihre Belegschaft schlecht. Am besten schneidet die Mischform ab. "Gute Manager zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Führungsstil ein Mix aus autoritärem und kumpelhaftem Verhalten ist", resümiert Studienleiterin Margit Huber. Diese Chefs sorgen laut TNS-Studie für den größten Beitrag zum Unternehmenserfolg. Mitarbeiter sind loyal, selten krank und arbeiten serviceorientiert.

Gerade in der dynamischen IT-Branche sind Führungskräfte in dieser Frage auf Learning-by-Doing angewiesen. "Wir müssen erreichen, dass Führungspersönlichkeiten nicht nur an Kennzahlen gemessen, sondern früh für den Umgang mit Menschen ausgebildet werden", sagt Unternehmerin Schaf. (am/iw)

*) Name geändert

**Magdalena Schupelius ist freie Autorin in Ahrensburg bei Hamburg.

Hier lesen Sie ...

- welche Erwartungen Mitarbeiter an ihre Vorgesetzten haben;

- wie die Entscheidungsprozesse in jüngeren IT-Unternehmen ablaufen;

- in welcher Form Mitarbeiter mitbestimmen;

- welche Bedeutung der Führungsstil für die Mitarbeitermotivation hat.