Abschied vom Shared-Media-Netz Bundle von ATM-Migration und LAN-Switching in Internetworks

21.10.1994

Von Patrick Braun*

Hinter dem Etikett "dedizierte Bandbreite" verbergen sich sowohl kontraere Konzepte als auch eine Revolutionierung der bis dato klassischen Netzwerktechniken. Zunaechst steht dabei die Zusammenfuehrung zweier Welten im Vordergrund - aus Gruenden der Kompatibilitaet sowie des Investitionsschutzes. Denn als Resultat der technischen Weiterentwicklung im Bereich kleiner und grosser "Internetworks" zeichnet sich ein Tatbestand immer deutlicher ab: Die klassische Rollendefinition von Bridges, Hubs und Routern gilt nicht mehr uneingeschraenkt. Routing und Switching in einer gemeinsamen "Internetworking-Box" koennte die Loesung sein.

Durch die Einfuehrung neuer Hochgeschwindigkeitsnetze dedizierter Bandbreite mit Switching-Verfahren fuer herkoemmliche Ethernet-, Token-Ring- und FDDI-Installationen ist mehr veraendert worden, als die schnelle Weiterleitung von LAN-Datenpaketen von einem Segment in das andere auf den ersten Blick vermuten laesst. Schliesslich gehoert die selektive Weiterleitung von Datenpaketen in Weitverkehrsnetzen zu den vornehmsten Aufgaben eines Multiprotokoll-Routers; und genau hier liegt das Problem. Denn neben dem reinen Switching ist inzwischen noch eine weitere Uebertragungstechnik so gut wie zur Marktreife gelangt, deren Bedeutung jedoch ungleich hoeher anzusetzen ist: der Asynchronous Transfer Mode (ATM).

ATM ist mehr als nur eine WAN-Uebertragungstechnik

Hinter diesem Terminus verbirgt sich mehr als nur eine - aus der WAN-Technik stammende - Uebertragungsmethode, die anstelle der bekannten Datenpakete Zellen fixer Groesse (53 Byte bei 5 Byte Header und 48 Byte Nutzlast) transportiert. Auch hier werden Switching-Verfahren angewendet, um die erforderlichen Geschwindigkeiten von 155 Mbit/s und mehr zu erzielen, die ihrerseits wiederum eine entsprechende Hardware voraussetzen. Bereits von diesem Standpunkt aus ergeben sich unabweisbare Implikationen fuer die Konzeption des Netzwerks: Klassische Technologien, wie sie von den Routern her bekannt sind, werden sich die Aufgabe der Verkehrssteuerung mit neuen Switching- Verfahren teilen.

Dass es sich hierbei um eine Art Koexistenz handeln wird (muessen), ergibt sich aus den unterschiedlichen Rollen, die dem Router einerseits und dem Switch andererseits zukommen. Waehrend die eigentliche Domaene der Router, die protokollorientierte Verkehrslasttrennung, nicht von den Switches uebernommen werden kann, erschliesst das Switching andererseits jedoch neue Dimensionen des Datentransports, die ueber den Wirkungsbereich der Router hinausgehen. Insofern ist es also begruendet, von zwei voellig unterschiedlichen Techniken zu sprechen, die sich - zumindest ueber einen laengeren Zeitraum hinweg - eher ergaenzen werden.

Router arbeiten bekanntlich auf der Ebene 3 des OSI- Schichtenmodells - ohne physikalische beziehungsweise logische Netzwerkadressen. Der Weg zwischen Quelle und Ziel wird durch spezielle Routing-Algorithmen wie etwa Open Shortest Path First (OSPF) automatisch optimiert. Die Wegewahl selbst erfolgt im allgemeinen anhand von Kriterien wie anfallenden Leitungskosten, Anzahl der Hopcounts, Fehlerrate und Leitungskapazitaet. Darueber hinaus fungieren Router als "Firewall" gegen unberechtigte Benutzer und unterbinden Flooding oder Broadcast-Stuerme im Netz.

Ein wesentliches Leistungsmerkmal von Multiprotokoll-Routern ergibt sich ebenfalls daraus, dass diese, wie schon erwaehnt, auf der OSI-Ebene 3 operieren: Jedes Protokoll muss vom Router hinsichtlich seiner Besonderheiten beruecksichtigt werden - ein Vorgang, der wiederum eine hohe Rechenkapazitaet voraussetzt. Nicht umsonst ist daher die Leistungsfaehigkeit derzeit auf dem Markt verfuegbarer Geraete so ausgelegt, dass sie in der Regel mehr als 270000 Datenpakete pro Sekunde verarbeiten.

Auf der anderen Seite liegt eine der wesentlichen Eigenschaften der Router in der protokollabhaengigen Trennung der Netzlast in verschiedene Segmente begruendet. Diese Art der Steuerung des Datenverkehrs kann von Switches nicht substituiert werden. Negativ macht sich diese Eigenschaft der Router erst bei Applikationen bemerkbar, die eine dediziert hohe Bandbreite erfordern. Dann ist ein solcher Internetworking-Baustein nicht mehr der bekannte leistungsstarke Mittler, sondern der Flaschenhals im Netzwerk, dessen Performance den neuen Anforderungen nicht entspricht, weil jede weitere Steigerung der Performance mit einem nicht vertretbaren technischen und finanziellen Aufwand erkauft werden muesste.

Sinn und Zweck eines Switches liegen nun allerdings in etwas anderem - naemlich in der Aufgabe, Datenpakete so schnell weiterzuleiten, dass mehrere Ports mit einer dedizierten Bandbreite (beispielsweise jeweils 10 Mbit/s unter Ethernet, 16 Mbit/s unter Token Ring oder 100 Mbit/s unter FDDI) operieren koennen. Neben der Geschwindigkeit, die diese Geraete erzielen, laesst sich auch aus den jeweils genannten Bandbreiten ersehen, dass eine starke Segmentierung des gesamten Netzwerks quasi vorausgesetzt wird.

Von diesem eigentlichen Switching wird wiederum schnelles Bridging unterschieden. Dabei werden die Datenpakete in einem ersten Schritt vollstaendig in den Hauptspeicher eingelesen (Store and Foreward), dort wird die Adressinformation interpretiert, und dann wird das Paket erst weitergeleitet. Interessanterweise ist schnelles Bridging unter ganz bestimmten Bedingungen die bessere Methode: In grossen Netzwerken mit vielen verschiedenen Protokollen kann naemlich bei hoher Belastung und entsprechend vielen Kollisionen von Datenpaketen ein Zustand eintreten, in dem das Netz mit zerstoerten Paketen regelrecht ueberflutet wird.

Beide Varianten markieren einen deutlichen Fortschritt in der Netzwerktechnik; sie stellen naemlich nicht nur intern eine wesentlich hoehere Bandbreite zur Verfuegung, sondern ermoeglichen es erstmals, einzelnen Ports dedizierte Bandbreiten zuzuteilen, was, wie bereits erwaehnt, durch die Lasttrennfunktion - analog zur Funktion der Bruecke - erreicht wird. LAN-Switching findet auf der Ebene der MAC-Adressen auf der Ebene 2 des OSI-Schichtenmodells statt. Das Switching selber wird wiederum unterschieden nach dem verwendeten Verfahren, Segment-, Port- oder virtuelles Port- Switching. Letztere Methode - mit softwaregesteuerter Port-Anwahl - unterstuetzt den Aufbau virtueller Netze und damit ein Mass an Flexibilitaet bei der Netzkonfiguration, das ueber die bisherigen rein physikalisch definierten Netzwerke hinausgeht und tendenziell den tatsaechlichen Anforderungen entspricht.

Der letzte Schritt hin zu einem virtuellen Hochgeschwindigkeitsnetz mit freier Definition virtueller Netze und deren Benutzer ist allerdings erst mit der Einfuehrung von ATM zu erzielen. Das zellbasierte ATM-Switching geht jedoch grundsaetzlich ueber das Switching von LAN-Datenpaketen in sogenannten Shared-Media-Netzen hinaus. Datenpakete verschiedener LAN-Protokolle finden bei dieser Methode nur noch insoweit Beruecksichtigung, als sie in speziellen Terminaladaptern in Zellen umgewandelt werden. Wie beim Switching handelt es sich auch hier um ein rein hardwarebasiertes Verfahren, dessen Vorteile in der Geschwindigkeit und in der Eignung fuer die Uebertragung isochroner Informationen, also der Kombination von Video, Audio und Daten, liegt.

Das klassische Routed Network wird in diesem Szenario langfristig durch das Switched Network ersetzt - ein Prozess allerdings, der noch auf lange Zeit beide Techniken nebeneinander erfordern wird. Der Grund hierfuer liegt nicht nur in der Tatsache, dass heutige Netze als Router-Netz aufgebaut sind und deswegen nicht daran zu denken ist, diese teuren Komponenten einfach auszumustern, sondern auch darin, dass die protokollabhaengige Last- und Verkehrssteuerung zu wichtig ist, als dass einfach auf sie verzichtet werden koennte. Folglich werden auch Router in geswitchten ATM-Netzen eine wichtige Rolle spielen.

Routing und Switching verhindern den "Flaschenhals"

Cisco Systems setzt etwa mit seiner "Fusion"-Architektur genau an diesem Punkt an. LAN- und ATM-Switching soll mit Routing verbunden werden und den Kern grosser Netze bilden. Folglich wird hier nicht der ATM-Switch als das Herzstueck des Internetworks gesehen - mit der Konsequenz, dass die Switching-Technologie fuer ATM und den LAN- Verkehr in den Router selbst integriert wird. Dabei sind verschiedene Gesichtspunkte zu beruecksichtigen; zum Beispiel, dass der Router geswitchte Datenpakete ignoriert, weil er mit logischen Netzwerkadressen auf der Ebene 3 des OSI-Modells arbeitet. Wird der Router mit einem ATM-Switch - also nicht direkt mit dem virtuellen Netz - gekoppelt und als logisches Mitglied des virtuellen Netzwerks definiert, ist die feste physikalische Zuordnung aufgebrochen; ausserdem bleibt der "Flaschenhals" Router bestehen. Wird hingegen sowohl Switching auf der Ebene 2 wie auch auf der Ebene 3 unterstuetzt, sind beide Uebertragungsverfahren, Routing und Switching, in einem Geraet integriert.

Zur Realisierung dieses Ansatzes ist beabsichtigt, den rechenintensiven Vorgang des Routings aus dem eigentlichen Switch auszulagern und von einem eigenen Prozessor erledigen zu lassen. Wegberechnung und vieles mehr mindern dann die Performance des Gesamtsystems nicht, wobei bei einem besonders hohen Verkehrsaufkommen mehrere Routing-Prozessoren eingebaut werden koennen. In einem weiteren Schritt soll die Verarbeitung der Ein- und Ausgangssignale auf den Schnittstellen durch einen Interface- Prozessor abgewickelt werden. Neu im eigentlichen Sinne ist der Fusion-Ansatz nicht; ist er doch bereits in dem Router "Cisco 7000" erstmals verwirklicht. Dennoch ist dies ein Modell, um fuer grosse Routed Networks einen praktikablen Migrationspfad zu ATM und den LAN-Switching-Verfahren aufzuzeigen.