Günter Bodner x Bertelsmann ICS Österreich

Abschied vom Großrechner

28.10.2005
Von 
Holger Eriksdotter ist freier Journalist in Hamburg.
Der CIO der Bertelsmann-Tochter hat die Anwendungen vom Großrechner auf Windows-Server migriert und die ausgelagerten Data-Center zurückgeholt.

Die Anwendungslandschaft der Buchclubs von Bertelsmann kennt der studierte Informatiker Günter Bodner wie kein zweiter. Schon 1984, als die ersten Applikationen entwickelt wurden, war er als Projektleiter dabei. Seit 1995 leitet er die IT-Geschicke von Bertelsmann ICS in Wien, das Software für die Buchclubs in Österreich, Polen, Kanada und der Schweiz entwickelt.

Günter Bodner

Wichtigste Projekte: Migration der Anwendungslandschaft von IBM-Mainframe auf Windows-Server, Re-Insourcing der Data-Center;

IT-Strategie: Aus restrukturiertem Cobol eine Service-orientierte Architektur zu entwickeln;

Ein CIO muss …heute das entwickeln, was das Management morgen braucht.

"Unser Wissen steckt zu großen Teilen in den IT-Applikationen", sagt der CIO. Bei der Migration vom Großrechner auf Windows-Server stellte sich die Frage, wie dieses erhalten bleiben kann. "Die Legacy-Anwendungen liefen problemlos - nur eben auf der falschen Plattform", sagt Bodner. Rund 2900 Programme waren zu übertragen, die Systemlast liegt in Spitzenzeiten bei 300 bis 500 Transaktionen in der Sekunde. Um die beste Lösung herauszufinden, stellte er verschiedene Szenarien einander gegenüber: komplette Neuentwicklung mit Java, Migration der Cobol-Applikationen auf MVS, AS/400 oder Windows-Server. "Die Portierung des Cobol-Quellcodes auf Windows war am kostengünstigsten", blickt der IT-Leiter zurück. Bei Projektkosten von rund 1,2 Millionen Euro ergeben sich jährliche Einsparungen von fast 700000 Euro.

Vorher liefen die Applikationen auf Mainframes in der Bertelsmann-Zentrale in Gütersloh, jetzt stehen die Server in den Landeszentralen. "Die dezentrale Architektur spart Netzwerkkosten, und wir haben phantastische Antwortzeiten der Systeme", resümiert der IT-Leiter. "Die IT ist skalierbarer geworden. Zurzeit unterziehen wir unser System einem Leistungstest. Wenn der gut läuft, haben wir beste Chancen, auch die IT für den französischen Buchclub mit rund 1000 Arbeitsplätzen abwickeln zu können."

Als Nächstes plant Bodner die Legacy-Anwendungen in Funktionsblöcke aufzubrechen und in eine Service-orientierte Architektur zu integrieren. Eine reizvolle Aufgabe, auf die er sich freut: "Ich hätte ja schon in Pension gehen können", sagt der dynamische 62-Jährige, "aber die Arbeit macht mir nach wie vor viel Spaß, und es war auch der Wunsch der Geschäftsführung, dass ich das Projekt fortführe."

Sportlich hat sich Bodner dem Jogging verschrieben: "Ich bin ja viel unterwegs, und joggen kann man überall auf der Welt." Er ist seit Jahren Gastprofessor für Informationstechnologie an der Universität Klagenfurt, sieht aber gern über die Grenzen seiner Zunft hinaus. So interessiert ihn die Philosophie: "Man denkt ja leicht, dass die Informationstechnologie etwas grundsätzlich Neues ist. Aber viele Erkenntnisse, auf denen sie beruht, etwa im Bereich der Kybernetik, waren schon den vorsokratischen Philosophen bekannt." n

Holger Eriksdotter