IT-Studenten wählen die beliebtesten Arbeitgeber

Absage an New Economy

23.02.2001
Siemens, IBM, Sun Microsystems - schon im vergangenen Jahr hatten Informatikstudenten die großen IT-Player als die beliebtesten potenziellen Arbeitgeber gekürt. Die Unternehmensgröße als Garant für interessante Aufgaben und Internationalität gab auch in diesem Jahr den Ausschlag. CW-Bericht, Alexandra Mesmer

Von Jubelstories über Startups und ihre jungdynamischen Gründer scheinen sich Informatikstudenten nicht beeindrucken zu lassen. Sie setzen lieber auf das Bewährte. Diesen Schluss legt das aktuelle IT-Absolventenbarometer 2001 nahe. Das Berliner Institut für Personal-Marketing Trendence hat in den vergangenen vier Monaten knapp 2200 IT-Studenten an 46 deutschen Hochschulen befragt. Erstmals wurden auch über 1000 Studenten der Mathematik und Physik in die Erhebung miteinbezogen, da gerade Absolventen dieser Fachrichtungen als Quereinsteiger in der IT-Branche willkommen sind.

Auf die Frage, ob sie in Zukunft lieber in einem Startup oder in einem etablierten Unternehmen arbeiten möchten, gaben die Teilnehmer eine unmissverständliche Antwort: Nur jeder dritte angehende Informatiker ist bereit, sich auf eine junge Firma einzulassen. Bei den Physikern (26 Prozent) und Mathematikern (21 Prozent) ist der Mut zum Risiko noch geringer. Dass die Studenten auf etablierte Unternehmen setzen, spiegelt sich auch im diesjährigen Ranking der beliebtesten Arbeitgeber wider. Von den am Neuen Markt notierten Firmen hat sich nur Intershop Communications unter den ersten 30 platzieren können. Auf Internet-Firmen wie ID Media, Brokat oder Kabel New Media stößt man erst im Mittelfeld des insgesamt 100 Firmen umfassenden Rankings.

Die Großen machen das Rennen

An der Spitze dagegen hat sich wie bereits im vergangenen Jahr die Siemens AG behauptet. Sie konnte ihren Vorsprung vor den anderen Firmen sogar noch ausbauen: Für 24 Prozent der befragten IT-Studenten ist Deutschlands größter Konzern die erste Adresse, wenn es um ihre berufliche Zukunft geht. Auch bei den Physikern und Mathematikern steht Siemens an erster Stelle der Beliebtheitsskala, so dass das Unternehmen insgeamt doppelt so viele Stimmen auf sich vereinigen konnte wie der erste Verfolger IBM. Mit Siemens verknüpfen die Studenten vor allem interessante Arbeitsaufgaben, attraktive Standorte, eine sichere Anstellung und bessere Möglichkeiten, international zu arbeiten. Größe steht für Vielfalt, aber nicht unbedingt für Flexibilität. Darum erwartet kaum einer der befragten Studenten bei Siemens flexible Arbeitsbedingungen (0,4 Prozent) oder gar flache Hierarchien (0 Prozent) vorzufinden.

Auf Platz zwei und drei folgen mit IBM und Sun Microsystems zwei weitere große Player im IT-Markt. Von Big Blue erwarten sich die Studenten in erster Linie interessante Forschungsaufgaben und die Chance, international tätig zu sein. Neben großen und bekannten Unternehmen wie SAP oder Daimler-Chrysler, die sich unter den Top Ten wiederfinden, gab es aber auch einen Senkrechtstarter: So haben die Informatikstudenten die Suse Linux AG auf Platz vier katapultiert.

Techniknachwuchs glaubt an Linux

Als Suse-Personalchef Dirk Spilker seiner Geschäftsleitung diese gute Nachricht unterbreitete, mochte dort niemand so recht daran glauben. Doch der Nürnberger Linux-Distributor profitiert von dem guten Image, das das von Linus Torvalds entwickelte Open-Source-Betriebssystem genießt. Technischen Nachwuchs zu finden, fällt Spilker deshalb leicht. Schwieriger gestaltet es sich für Suse, erfahrene Marketing- und Vertriebsleute zu finden, da diese oft mit Linux wenig anzufangen wissen. Die befragten Informatikstudenten glauben fest daran, dass es bei Suse im Vergleich zu anderen Firmen die interessanteren Arbeitsaufgaben und Produkte gibt. Auch eine ansprechende Unternehmenskultur und flache Hierarchien vermuten die Befragten viel eher bei den Nürnbergern als in Konzernen wie Siemens oder IBM. Gleichzeitig sind sich die Studenten aber bewusst, dass sie bei jungen, stark wachsenden Firmen Zugeständnisse machen müssen: So rechnet keiner mit einem höheren Einstiegsgehalt oder einer besseren Management-Ausbildung bei Suse, und nur ein Bruchteil der Studenten erwartet bessere Weiterbildungsmöglichkeiten oder eine sichere Anstellung.

Den Sprung unter die Top Ten haben auch der Chiphersteller Infineon und der große Netzwerkspezialist Cisco zum ersten Mal geschafft. Hoch im Kurs beim IT-Nachwuchs steht ebenso die Fraunhofer-Gesellschaft (Platz sieben), mit der vor allem die Chance verbunden wird, sich interessanten Forschungsprojekten zu widmen. Neben der Attraktivität der Aufgabe und dem Interesse an bestimmten Produkten ist die Chance zu forschen einer der wichtigsten Gründe, warum der Nachwuchs ein Unternehmen als interessant einstuft.

Die Mehrheit will einen sicheren Job

Dass Jobsicherheit mehr denn je für den IT-Nachwuchs ein Thema ist, zeigen weitere Ergebnisse der Umfrage: So ziehen knapp 57 Prozent die sichere Anstellung einer möglicherweise schnellen Karriere vor. Nur 14 Prozent sind bereit, eine zeitlich befristete Stelle zu akzeptieren. Dabei wäre es angesichts des anhaltenden Fachkräftemangels in der Branche für Informatiker kein Problem, einen neuen Job zu finden. Die Aussicht, aus einer Vielzahl von Angeboten wählen zu können, ist denn auch der Grund dafür, warum die Studenten in manchen Punkten zu keinen Kompromissen bereit sind.

So würde die Mehrheit sich zwar immer wieder auf neue Aufgabengebiete einstellen wollen, aber nur 8,3 Prozent könnten sich damit anfreunden, mit umstrittenen Produkten zu arbeiten. Auch würden die Befragten eher Reisen in Kauf nehmen (60 Pozent) als den Wohnort zu wechseln (41 Prozent). Am wenigsten Kompromisse will der IT-Nachwuchs aber in Sachen Vergütung eingehen: Nur 3,1 Prozent würden ein unterduchschnittliches Gehalt akzeptieren. Dies korrespondiert mit den gestiegenen Gehaltserwartungen. Hatten im vergangenen Jahr die befragten Informatikstudenten noch mit einem Einstiegssalär von 80 000 Mark im Jahr gerechnet, kalkulieren sie jetzt mit durchschnittlich 84900 Mark. Die Physiker und Mathematiker geben sich mit 80 600 beziehungsweise 90200 Mark nur wenig bescheidener.

Vor allem in den oberen Gehaltsregionen erwarten sich die Einsteiger immer mehr Spielraum. Mittlerweile rechnet jeder fünfte Befragte damit, oberhalb der 100 000-Mark-Grenze anzufangen. Im vergangenen Jahr hofften darauf erst 13,7 Prozent. Ein ehrgeiziges bis vermessenes Ziel, wenn man bedankt, dass die meisten Firmen in der IT-Branche gerade für Berufseinsteiger nicht mehr als 75 000 bis maximal 90 000 Mark bezahlen.

In der Regel müssen Bewerber aber begehrte Zusatzqualifikationen wie den Master of Business Administration (MBA) oder Berufserfahrung mitbringen, um die 100 000-Mark-Einkommensgrenze zu überschreiten. Vor allem Unternehmensberatungen, die Wert auf Titel wie den MBA legen, sind bereit, ein bedeutend höheres Einstiegsgehalt zu zahlen. Von den Consulting-Firmen finden sich aber nur Accenture, vormals Andersen Consulting, (Platz 13) und McKinsey (Platz 26) unter den ersten 30, während sich andere große Beratungen wie Boston Consulting Group, Roland Berger oder Arthur D. Little nur im Mittel- und Schlussfeld platzieren konnten. Dort befinden sie sich in Gesellschaft von diversen IT-Dienstleistern wie IDS Scheer AG, Sercon oder Cambridge Technology Partners, die alle einen immensen Personalbedarf haben, aber offenbar in Sachen Image und Personal-Marketing noch nachlegen müssen. Aber auch IT-Tochtergesellschaften von Anwenderunternehmen wie Agis (Allianz), West LB Systems, Softlab (BMW) oder TUI Infotech stehen bei den Befragten nicht allzu hoch im Kurs.

Viel Geld für weniger Stress

Auch wenn die Studenten hohe Ansprüche an die Vergütung haben, sind sie nicht bereit, Tag und Nacht im Büro zu verbringen. Knapp 60 Prozent von ihnen rechnen mit einer Wochenarbeitszeit zwischen 36 und 45 Stunden, 26 Prozent stellen sich auf 46 bis 55 Stunden ein. Lediglich sieben Prozent gehen davon aus, dass wöchentlich mehr als 55 Stunden für den Job investiert werden müssen. Die Absage ans Arbeiten ohne Ende, das ja bis vor kurzem noch in vielen Internet-Startups gefordert wurde, ist deutlich und verstärkt sich noch, wenn man nach den persönlichen Zielen der Studenten fragt. Das Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben, der Umgang mit Freunden und die Selbstverwirklichung sind ihnen allemal wichtiger als die berufliche Entwicklung, die erst an vierter Stelle genannt wird.

Genaue Vorstellungen haben die Studenten auch, was ihre beruflichen Zielen anbelangt. So will eine große Mehrheit nicht nur in Teams, sondern auch in Projekten arbeiten, anstatt sich mit einem festen Aufgabenbereich begnügen zu müssen. Für 85 Prozent ist auch der Spaß an der Arbeit wichtiger, als Erfolge zu sehen. Überraschend ist jedoch, dass jeder zweite Befragte international Erfahrungen sammeln möchte. Denn den Erwartungen vieler Unternehmen zum Trotz ist ein Studiensemester oder Praktikum im Ausland beim Techniknachwuchs alles andere als selbstverständlich: So haben lediglich zehn Prozent der Informatiker im Ausland studiert, sechs Prozent ein Praktikum gemacht. Bei Physikern (23 Prozent) und Mathematikern (17 Prozent) ist es dagegen schon eher üblich, ein Semester in einem anderen Land zu verbringen.

Nebenjobs sind lukrativer als Praktika

Dafür scheinen Studenten dieser Fachrichtungen weniger praktische Erfahrungen im Inland zu sammeln als die Informatiker. So haben 71 Prozent der befragten Mathematikstudenten und gar 81 Prozent der Physikstudenten noch kein Praktikum absolviert, das länger als drei Monate dauerte. Unter den angehenden Informatikern haben 37 Prozent ein solches Praktikum hinter sich. Das bedeutet aber nicht, dass der IT-Nachwuchs nur studiert und den Kontakt mit der Praxis scheut. Er sucht bloß in der Regel einen lukrativen Weg: So üben mehr als drei Viertel der befragten Informatikstudenten eine berufliche Nebentätigkeit mit Bezug zum Studium aus. Ein deutlich höherer Anteil als bei den Physikern (53 Prozent) und Mathematikern (64 Prozent).

Auch deshalb sind die Studenten gut informiert, wo sie die besten Berufsaussichten haben. München bietet in ihren Augen mit Abstand die meisten Jobchancen, gefolgt von Fankfurt am Main und Berlin. Im Fall von München und Frankfurt haben sie auch Recht, wie die Stellenmarktanalyse von EMC Medienservice/ Adecco, die 41 Tageszeitungen und die COMPUTERWOCHE auswertet, beweist: Bayern mit seiner Landeshauptstadt München war im vergangenen Jahr die attraktivste Region für IT-Spezialisten, da mit 21 355 Angeboten ein Fünftel der gesamten Jobs aus dem südlichen Freistaat stammten. Aus Hessen mit seiner Bankenmetropole Frankfurt am Main kamen 13524 Angebote. Auf Berlin entfielen dagegen im vergangenen Jahr nur 7612 Jobofferten.

Die Studie

Das "Absolventenbarometer 2001 - Deutsche IT-Edition" beruht auf einer Internet-Umfrage von etwa 2198 Studenten der Informatik zwischen November 2000 und Februar 2001. Zusätzlich beteiligten sich 537 Mathematik- und 544 Physikstudenten. Das Personal-Marketing-Institut Trendence, Berlin, hat 28 Universitäten und 18 Fachhochschulen ausgewählt und alle immatrikulierten Studenten der drei Fachrichtungen zur Befragung eingeladen. Teilnahmevoraussetzung war, dass die Befragten das Grundstudium bereits beendet haben. An der Studie haben vor allem männliche Studenten (85 Prozent) teilgenommen.

Abb: Kurzfristige persönliche Ziele

Die Karriere ist für den IT-Nachwuchs nicht das Wichtigste. (Quelle: Trendence)