unentschlossene wirtschaft

Absage an den Bachelor

01.07.1999
Einerseits fordert die Wirtschaft international kompatible Studienabschlüsse. Andererseits weiß sie nicht so recht, was sie mit Bachelor-Absolventen anfangen soll.

von Angelika Fritsche*

Deutschlands Fachhochschulen und Universitäten geben Gas. Auf Druck der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes, wegen leerer Kassen und überbordender Hörsäle gehen Hochschulverwaltungen daran, ihre Studienangebote auf Herz und Nieren zu überprüfen, zu entschlacken und praxisorientierter auszurichten. Das erste vorzeigbare Produkt dieses Reformeifers ist die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen, querbeet durch alle Fakultäten - von den Ingenieur- und Naturwissenschaften bis hin zu den Geistes- und Sozialwissenschaften. In nur sechs Semestern kann der Bachelor als erster berufsqualifizierender Abschluß erworben werden. Wer die akademische Ausbildung direkt nach dem Studium oder nach einigen Jahren Berufserfahrung in der freien Wirtschaft fortsetzen will, kann in nochmals drei bis vier Semestern einen Mastergrad draufsatteln. Neben fachwissenschaftlichem Know-how stehen berufsbezogene Zusatzqualifikationen auf den Lehrplänen.

In der Regel bieten die Hoch-schulen Arbeitsmarktkolloquien, Praktika und Kurse in Fremdsprachen, DV-Anwendung sowie Kommunikations- und Teamfähigkeit an. An die neuen Angebote, die von Bund, Ländern und Wissenschaftsorganisationen finanziell und konzeptionell gefördert werden, sind höchste Erwartungen geknüpft. Politik- und Wissenschaftsvertreter sind felsenfest davon überzeugt, mit Bachelor- und Mastergraden nun endlich einen Ausweg aus der seit Jahren währenden Hochschulkrise und zugleich eine Antwort auf die Anforderungen einer mittlerweile global agierenden Wirtschaft gefunden zu haben.

Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Absolventen auf ausländischen Arbeitsmärkten werde sich wesentlich verbessern, weil sie nun international vergleichbare Abschlüsse vorlegen könnten, gibt sich Christian Bode, Generalsekretär des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), optimistisch. Zudem würden deutsche Hochschulen für Ausländer wieder attraktiver, da die Studiensysteme jetzt durchlässiger und kompatibler seien. Das sei wichtig, um die Wirtschaftsbeziehungen ins Ausland stabil zu halten.

Wie Arbeitgeber im Ausland die frisch gebackenen Bachelor-Absolventen deutscher Provenienz tatsächlich aufnehmen - dazu gibt es noch keine Erfahrungswerte. Die ersten Jahrgänge werden bis auf wenige Ausnahmen erst zur Jahrtausendwende auf den Arbeitsmarkt drängen.

Zwischen Euphorie und Skepsis

Und der Aufbruchstimmung an Hochschulen und in den Bildungsministerien zum Trotz: In Wirtschaftskreisen steht man den neu geschaffenen Studienabschlüssen äußerst ambivalent gegenüber. Während die Elektro- und Maschinenbaubranche die Entwicklung geradezu euphorisch begrüßt, ja maßgeblich mit vorangetrieben hat, geben sich Bauindustrie und Öffentliche Verwaltung eher skeptisch. "Die Voraussetzung für eine stärkere Internationalisierung der deutschen Ingenierausbildung ist die Anpassung der Studienangebote an die angelsächsischen Studienstrukturen mit den konsekutiven Abschlüssen Bachelor und Master", so Kruno Hernaut, Leiter der Bildungspolitik der Siemens AG in München und Vorsitzender des Bereichs Ingenieuraus- und -weiterbildung beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI) in Düsseldorf.

Diese Abschlüsse hätten sich inzwischen de facto zum weltweiten Standard entwickelt und stellten heute die allgemein anerkannten "Mobilitätsschienen" zwischen den Bildungssystemen unterschiedlicher Kulturkreise dar. Sobald die ersten Bachelor-Absolventen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden, würde man geeignete Kandidaten gerne einstellen, heißt es denn auch aus der Münchner Konzernzentrale. Bei der Robert Bosch GmbH in Stuttgart weiß man hingegen noch nicht so recht, was man mit Ingenieuren, die bei der Bewerbung einen Bachelor-Abschluß vorlegen werden, anfangen soll.

Schließlich gibt es neben den klassischen Hochschulabgängern noch die Absolventen der Berufsakademien, mit denen der Elektrokonzern bisher beste Erfahrungen gemacht hat. Und Lücken, die die Bachelors künftig "irgendwo zwischen voll ausgebildeten Ingenieuren und Technikern füllen könnten", kann Dirk Hinrichs, Leiter des Zentralbereichs Weiterbildung und Führungskräftetraining bei Bosch, nun gar nicht erkennen. Ein solcher Bedarf wird von der Hochschulseite aber immer wieder expressis verbis genannt: "Wir sehen durchaus, daß es im weiten Bereich der Wirtschaft eine Reihe von Berufsangeboten gibt, die mit einem qualifizierten Bachelor bedient werden können", meint Winfried Schulze, Vorsitzender des Wissenschaftsrates in Köln.

Dieser Meinung kann sich Boris Engelhardt, Ausbildungsexperte beim Hauptverband der Bauindustrie in Berlin, nicht anschließen. "Unsere Branche ist mit dem deutschen Ingenieurdiplom sehr zufrieden. Die Internationalisierung sollte man nicht hysterisch um jeden Preis vorantreiben." Das einzige, was Engelhardt und Bosch-Mann Hinrichs an der gängigen Ingenieurausbildung stört: Sie sei zu theorielastig. Sogar Fachhochschulabsolventen ließen mittlerweile praktische Fähigkeiten vermissen. Der Hang zur Überakademisierung sei nicht zu übersehen. Doch deswegen, so glaubt Engelhardt, müsse man nicht gleich neue Studiengänge einführen, sondern die bewährten reformieren. "In der Bauindustrie", weiß Engelhardt aus Gesprächen, "stoßen die neuen Studienabschlüsse eher auf Unverständnis" - auch, weil man partout nicht weiß, wie man Bachelor-Absolventen gehaltlich einzuordnen hat.

Kein Bedarf an Schmalspur-Ingenieuren

Dieses Problem sieht Horst Hanke, Leiter der Abteilung Betrieb und Verkehr beim Hessischen Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen, auch für die Öffentliche Verwaltung. "Die bisherigen Tarif- und Besoldungsstrukturen", so Hanke, "sind auf die neuen Absolventen überhaupt noch nicht eingestellt." Schon jetzt gäbe es erhebliche Probleme, die eigentlich dringend benötigten Betriebswirte und Wirtschaftsingenieure einzustufen. Auch der Ministerialbeamte sieht keinen akuten Bedarf an Ingenieuren mit Kurzzeitausbildung. "Wenn die Ausbildung zu schmal und zu tief ist, haben wir einfach keine Verwendung." Zudem bietet der Öffentliche Dienst selbst eine dreijährige Ausbildung zum Techniker an, die später genau an der Schnittstelle zu den Ingenieursaufgaben ihren Einsatz finden.

Kritiker der BA-Abschlüsse sehen in diesem Zusammenhang auch schon ein anderes Problem auf die Absolventen zukommen: Der Wettbewerb am Arbeitsmarkt könnte dazu führen, "daß man einen Diplomierten oder Magister zum Preis eines Bachelor bekommen würde", warnt Alfred Kieser, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Fakultätentage, vor möglichem Preisdumping durch kostenbewußte Unternehmer.

Ein Blick auf die Erfahrungen mit der Einführung von Bachelor-Abschlüssen in Dänemark bestätigt die gespaltene Einstellung der Wirtschaft zu neuen Studienabschlüssen: "Es hat sich als schwierig erwiesen, den Bachelor auf dem Arbeitsmarkt einzuführen. Der Enthusiasmus der Unternehmer und besonders der Industrie in den achtziger Jahren hat sich in eine mehr oder weniger deutliche Absage an den Bachelor umgekehrt", so Karen Sonne Jakobsen, Vorsitzende des dänischen Bildungsrates für die Geisteswissenschaften.

Dabei war der Bachelor vor gut einem Jahrzehnt mit dem Argument eingeführt worden: Die Wirtschaft brauche jüngere Absolventen. Heute will davon kaum noch ein dänischer Unternehmer etwas wissen. Einen Arbeitsvertrag erhalten fast ausschließlich Absolventen mit den "altbewährten berufsqualifizierenden Abschlüssen". Wer einen Bachelor in der Tasche hat, wird oftmals als "gescheiterter Student" beargwöhnt, zieht Karen Sonne Jakobsen nüchtern Bilanz.

*Angelika Fritsche ist freie Journalistin in Bonn.