Noch fehlt das Okay aus der Compaq-Konzernzentrale

64-Bit-Erfahrung soll DEC den Unix-Erfolg garantieren

13.03.1998

"Wir haben das ausgereifteste Unix-Betriebssystem und die meisten Anwendungen für 64-Bit-Architekturen", lautet das zentrale Argument von Don Jenkins, Produkt-Manager für die weltweiten Geschäfte mit Digital Unix. Bislang hat das dem Unternehmen jedoch wenig genützt. So hat Digital im Unix-Geschäft nur einen Marktanteil von acht Prozent.

Eigentlich wollte das Unternehmen mit dem 1992 angekündigten Alpha-Chip selbst den Markt für 64-Bit-Architekturen etablieren. Das ist bislang jedoch nur innerhalb der eigenen Klientel gelungen. Nun soll der für die Jahrtausendwende angekündigte Merced-Chip von Intel für ein breites Interesse an dieser Hochleistungstechnik und damit für Digitals Unix sorgen. Tatsächlich ist das Unternehmen bestens auf diesen Technologiewechsel vorbereitet. So wird Digital Unix derzeit unter Hochdruck auf den neuen Intel-Chip portiert. Eine Aufgabe, die aufgrund der Microkernel-Architektur des ursprünglich im Rahmen der Open Software Foundation (OSF) entwickelten Unix-Derivats als lösbar gilt. Von größerer Bedeutung ist jedoch, daß Digital als einziger Hersteller rund 4500 Anwendungen für ein 64-Bit-Unix aufweisen kann.

Die Chancen für einen Erfolg des 64-Bit-Unix von Digital stehen auch aufgrund der veränderten Anwenderbedürfnisse wesentlich besser als zu Beginn der 90er Jahre. Damals gab es außer im wissenschaftlichen Bereich kaum Bedarf für die Leistung von 64-Bit-Rechnern. Aktuelle Techniken wie das Internet und Data-Warehousing fordern jedoch hohe Leistung. Außerdem positioniert Digital seine Unix-Systeme auch als Plattform für aufwendige Implementierungen der betriebswirtschaftlichen R/3-Pakete von SAP und kann hier auch einige Erfolge aufweisen. Firmenangaben zufolge laufen zwei Drittel der Großinstallationen von R/3 auf Basis von Digital Unix.

Als noch leistungshungriger gelten Data-Warehouse-Datenbanken und -Anwendungen. Es geht dabei vor allem darum, riesige Datenbanken laden und abfragen zu können. Hier hilft die durch 64-Bit-Adressierung mögliche Aufhebung der Hauptspeichergrenze, die in 32-Bit-Systemen bei 4 GB liegt.

Bei Web-Servern steht dagegen die Skalierbarkeit im Vordergrund. Auf sie kann weltweit von jedem Web-Surfer zugegriffen werden, so daß es zu unerwarteten Spitzenbelastungen kommt, die abzufangen einen ungewöhnlich leistungsfähigen Rechner verlangt.

Aus diesem Grund sind derzeit Großrechnersysteme als Web-Server im Schwange. Hier dürfte Digital trotz einiger Erfolge etwa bei AOL oder der Deutschen Telekom die härteste Konkurrenz erwachsen. So hat die IBM mit der Version 2.5 eine Variante des Mainframe-Betriebssystems OS/390 angekündigt, die für Web-Aufgaben optimiert wurde.

Aber es gibt noch weitere Mitbewerber. Neben den großen Herstellern wie IBM mit AIX und Hewlett-Packard mit HP-UX, die mit Digital den Mangel der herstellerspezifischen Unix-Implementierung teilen, ist hier vor allem die Santa Cruz Operation (SCO) zu nennen, die seit Jahren eine 64-Bit-Variante des von Novell erworbenen "Unixware" entwickelt. Dieses Unix gilt als ähnlich modern wie der OSF-Ableger von Digital, wenn ihm auch die bei Portierungen hilfreiche Microkernel-Architektur fehlt. Anders als bei früheren Entwicklungsprojekten hat es SCO bislang geschafft, jede Stufe des 1993 bekanntgegebenen Zeitplans einzuhalten. Zur Jahrtausendwende soll es symmetrisches Multiprocessing mit 32 Merced-Prozessoren unterstützen und 100000 Transaktionen pro Sekunde ermöglichen.

Trotzdem sah es einige Zeit düster aus, als Mitinitiatoren des Entwicklungsprojekts wie HP sich von dem SCO-Projekt abwandten. Nun jedoch hat eine Gruppe von Herstellern beschlossen, mehrere Millionen Dollar lockerzumachen, um sicherzustellen, daß das Unix von SCO mit der Freigabe des Merced-Chips 64-Bit-fähig am Markt ist. Zu den Unterstützern gehört neben den Unix-Spezialisten Data General, ICL und Unisys auch die neue Digital-Konzernmutter Compaq.

Die daraus entstehenden Entscheidungsprobleme, welche Unix-Derivate - die Tandem-Variante kommt noch hinzu - im Compaq-Konzern unterstützt werden sollen, spielt Digital-Manager Jenkins jedoch herunter. Zwar verkaufe der PC-Anbieter jährlich rund 120000 Server mit SCO-Unix, doch diese Systeme konkurrierten eher mit Windows NT und Novell als mit Digital Unix. Diese Einschätzung von SCO als Marktführer für PC-Unix gilt allerdings nur für die herkömmliche 32-Bit-Technik.

Insofern verschärft sich für Digital unter Compaq-Regie das seit Jahren bestehende Problem der Betriebssystem-Positionierung. Waren Unix und Open VMS bislang hinter dem NT-Geschäft kaum sichtbar geworden, so soll nun NT gegen SCO-Unix und Novell positioniert werden. Allerdings läuft bereits die Entwicklung eines 64-Bit-NT auf Alpha-Basis. Open-VMS soll vor allem auf High-end-Systemen mit Anforderungen an Hochverfügbarkeit eingesetzt werden. Einem Gebiet, auf dem allerdings auch die Compaq-Tochter Tandem bereits aktiv ist. Analysten sehen Open VMS daher eher als Auslaufmodell, das für treue Digital-Kunden weitergepflegt wird.

Digitals Unix-Engagement ist enorm: Rund 1000 Entwickler arbeiten an dem Produkt, während für Open VMS nur etwa 600 Mitarbeiter und etwa 150 Fachleute für Microsofts NT abgestellt sind. Neben den Leistungsargumenten rund um 64 Bit und der Reife der Technik bringt Digital auch noch die als Microsoft-Partner gesammelte Erfahrung bei der Integration von Windows-Umgebungen in die Unternehmens-DV ins Spiel. So kann Digital heute mit einer nahtlosen Kooperation zwischen Unix-Servern und der Windows-Welt argumentieren. Dazu gehört auch die Möglichkeit, mit Microsoft-Programmiersprachen gleichzeitig für Unix- und NT-Umgebungen schreiben zu können und mit gemeinsamen Diensten auf Anwendungen beider Welten zugreifen zu können. Außerdem wolle man das eigene Unix auch als OEM-Version für andere Plattformen anbieten. Um hier die Akzeptanz zu erhöhen, ist geplant, das Unix-Derivat herstellerneutral umzubenennen. All diesen Plänen muß Compaq jedoch noch zustimmen.