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Sun-Microsoft: Analyse und Hintergründe

05.04.2004
Die Einigung zwischen Sun und Microsoft wurde bereits seit Monaten insgeheim ausgehandelt. Viele Fragen bleiben aber vorerst offen, unter anderem die Auswirkungen auf den EU-Kartellentscheid.

So mancher mag zunächst einen verspäteten Aprilscherz vermutet haben, als am vergangenen Freitag die Meldungen über die Beilegung sämtlicher Rechtsstreite und die technische Partnerschaft zwischen Microsoft und Sun (Computerwoche.de berichtete) über die Ticker lief. Wer sich dann noch die Pressekonferenz beider Firmen als Video-Stream ansah, verstand wahrscheinlich vollends die Welt nicht mehr: Scott McNealy und Steve Ballmer klopften sich gegenseitig auf die Schultern und scherzten, was das Zeug hielt, als hätte es die jahrelange (und zumindest äußerlich) erbitterte Feindschaft beider Unternehmen nie gegeben.

Vor allem Sun-Chef Scott McNealy und dessen Ghostwriter hatten in den letzten Jahren jede Menge Häme über Microsoft ausgeschüttet. "Look out" statt "Outlook", "Captive X" statt "Active X", ".NOT" (sowie ".NOT yet" oder ".NUT") statt ".NET" oder "The Beast from Redmond" und "The Evil Empire" als Synonyme für Microsoft und dessen Headquarter in einem Vorort von Seattle sind nur wenige Beispiele für McNealys andauerndes "Microsoft-Bashing". Doch damit dürfte nun Schluss sein. "Vielleicht sind wir erwachsen geworden", so McNealy. "Und vielleicht sind auch sie erwachsen geworden."

Alle Macht dem Kunden

Zu verdanken haben wir das offenbar den gemeinsamen Kunden beider Firmen, die die unproduktive Phrasendrescherei satt hatten. "Ihr müsst mit dem Krach aufhören, interoperieren und zusammenarbeiten", hätten ihm die Anwender aufgetragen, sagte McNealy im Rahmen einer am Freitag hastig anberaumten Pressekonferenz. Ballmer blies in gleiche Horn: "Es gibt hier nichts, aber auch gar nichts, was die Kunden nicht erfreuen könnte", erklärte der Microsoft-Chef hinsichtlich der Übereinkunft.

In der Mache war diese jedoch schon weit länger als gedacht. Seit acht Monaten schon hatten McNealy und Ballmer jeden Freitag am Telefon über das "Projekt Dämmerung" verhandelt, wie sie die neue Ära guten Willen zwischen ihren Firmen metaphorisch getauft hatten. Ende letzten Jahres schien die CEO, ihre Anwälte und ihre Strategen dann in einer Sackgasse zu stecken. Ende vergangener Woche rangen sie sich dann schlussendlich doch zu einer Einigung durch, und die beweist vor allem eines: Kunden haben heute mehr Macht denn je über ihre Lieferanten, und sie haben keine Geduld mehr mit den bitteren Rivalitäten aus der Jugend der Branche.

Über fast zwei Jahrzehnte hinweg waren es die Hightech-Hersteller gewohnt, Generationen von zueinander inkompatiblen Produkten auf den Markt zu bringen in der Gewissheit, dass die Anwender schon den Ärger und die Kosten auf sich nehmen würden, diese zusammen ans Laufen zu bekommen. Sun und Microsoft stehen dafür quasi sinnbildlich, indem sie rivalisierende Produkte mit einer Vehemenz vermarkteten, die dauerndes Gezänk und eine Reihe von juristischen Klagen nach sich zog. Die Anwender akzeptierten dies die längste Zeit als Preis für schwungvolle neue Produkte.

Aber die Zeiten haben sich unter dem wirtschaftlichen Druck der letzten Jahre geändert. Die knappen Budgets haben den Wettbewerb unter den Anbietern verschärft und es den Beschaffern in Unternehmen erleichtert, darauf zu bestehen, dass die Produkte der widerstreitenden Anbieter miteinander zusammenspielen. "Der Kunde hat das Sagen", brachte McNealy die Annäherung von Sun und Microsoft auf den Punkt.

Gemeinsam gegen IBM und Linux

Ohnehin ist Microsoft wohl nicht mehr wirklich Suns größtes Problem. Die Unzufriedenheit der Anwender mit komplexer Technik hat vor allem IBM adressiert, das ganze Armeen von Beratern aufgestellt hat, die dabei helfen sollen, dass sich Hard- und Software unterschiedlicher Anbieter mehr wie ein einheitliches System bedienen lässt. Das quelloffene Betriebssystem Linux, erhältlich mit Servern von IBM und anderen Herstellern, erleichtert es den Anwendern, Systeme zu verwenden, die einfacher und billiger sind als die von Sun. Das drückt Suns Preise und Margen - logische Folge sind Zahlen und Entlassungen, wie sie das Unternehmen am Freitag ankündigen musste.

Den Druck von IBM und Linux spürt auch Microsoft. Gleichzeitig drücken den Softwarekonzern jahrelange Kartellermittlungen und -prozesse. Diese bemüht sich Microsoft, möglichst rasch aus der Welt zu schaffen, damit es einen größeren Teil seiner Bargeldbestände von gegenwärtig 53 Milliarden Dollar mit seinen Anlegern teilen kann. Nach dem Scheitern der Schlichtungsverhandlungen Ballmers und Microsofts mit der Europäischen Kommission adressiert die Einigung die Probleme beider Firmen.

In seiner Stellungnahme vom Freitag hat Sun nämlich unter anderem in einem Nebensatz eingeräumt, es betrachte die von seiner Seite in Brüssel vorgebrachten Bedenken mit der Übereinkunft als erledigt. Damit wird der Kommission erheblich Wind aus den Segeln genommen. Zwar hat die Einigung mit Sun verfahrenstechnisch mit der EU-Entscheidung nichts zu tun, doch schwächt sie aus Sicht von Experten die Position von Wettbewerbskommissar Mario Monti vor dem EU-Berufungsgericht in Luxemburg, wo Microsoft die von der Kommission verhängten Strafen und Auflagen zunächst aussetzen und anschließend aufheben lassen will.

Die auf zunächst zehn Jahre vereinbarte technische Kooperation sollte die technischen Abgründe zwischen den Systemen beider Unternehmen reduzieren und Suns Server den Austausch von Informationen mit Desktops und Servern unter Windows erleichtern. Sun dürfte es so leichter haben, Kunden bei der Stange zu halten, die seine Systeme in heterogenen Umgebungen verwenden wollen. Und Microsoft dürfte im Gegenzug von Suns Erfahrungen mit großen Servern profitieren, wo Windows bislang noch wenig erfolgreich ist.

Suns Zukunft bleibt ungewiss

Dass Suns Absatz davon kurzfristig profitiert, ist allerdings kaum zu erwarten. Ein Kernproblem bleibt zudem noch außen vor - wie nämlich Microsoft und Sun ihre inkompatiblen Techniken zur Entwicklung Web-basierender Anwendungen unter einen Hut bekommen wollen. "Ich bin überrascht, dass der Deal zustande gekommen ist", wundert sich beispielsweise Bill Joy, der Sun mitgegründet und im vergangenen September von den geheimen Verhandlungen erfahren hatte, bevor er das Unternehmen verließ. "Mit Microsoft zu arbeiten war eigentlich fast ein Ding der Unmöglichkeit."

Sun hatte seine große Zeit in den späten 90er Jahren, als das Unternehmen auf der Internet-Welle ritt und Tausende seiner Server in die Rechenzentren von Finanz-, Telco- und Internet-Firmen verkaufte. Während andere Hersteller ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung reduzierten, steckte Scott McNealy Milliarden in Prozessoren, die mit denen von Intel und in Software, die mit der von Microsoft konkurrierten. Als dann die IT-Budgets sanken, kauften die Anwender immer weniger Server mit Suns proprietären Sparc-Prozessoren und Solaris, sondern wandten sich preiswerteren Systemen mit Intel-Chips und Linux oder Windows zu. Sun begann daraufhin selbst mit dem Verkauf von Linux-Servern, rutschte aber immer tiefer in die Verlustzone.

Für sein im Juni vergangenen Jahres abgeschlossenes Geschäftsjahr musste Sun dann einen Nettoverlust von 3,4 Milliarden Dollar ausweisen, eine umfangreiche Abschreibung auf einen Zukauf inklusive. In diesem Monat wagte Scott McNealy seine erste vorsichtige Annäherung an Ballmer - einen Anruf mit einer Einladung zu einer Partie Golf in Pebble Beach. Die kam dem Microsoft-Chef nicht ungelegen - er hatte erst wenige Tage vorher an seine Mitarbeiter geschrieben und gewarnt, es gebe seitens der Kundschaft "weniger Leidenschaft und Enthusiasmus für Technologie". Microsoft müsse "alte Gewohnheiten ändern und das business-as-usual ernsthaft überdenken", appellierte er in seinem Memo.

Es begann in Peeble Beach

Ein weiterer Dorn im Auge Microsofts waren die aus Sicht der Kunden unschönen zahlreichen Klagen gegen das Unternehmen. Ein Jahr zuvor hatte Ballmer den neuen Generaljustiziar Brad Smith an Bord geholt, der sich nach Kräften und mit viel Erfolg bemühte, möglichst viele davon möglichst schnell beizulegen. Im Frühjahr beispielsweise gegen Zahlung von 750 Millionen Dollar die Klage von AOL, dessen Tochter Netscape durch Microsofts Internet Explorer effektiv die Geschäftsgrundlage entzogen worden war. Nur wenige Wochen später kam das Golfspiel zustande (McNealy und Ballmer waren dabei die Verliererhälfte eine Viererpartie), und anschließend setzten sich beide Manager in McNealys Haus in Pebble Beach zusammen und redeten.

Eigentlich undenkbar nach McNealy Dauerschimpfkanonaden gegen Microsoft, das er unter anderem als Firma unter Leitung von "Ballmer and Butthead" (unter Anspielung auf die MTV-Comedy "Beavis and Butthead", mit Butthead war natürlich Microsoft-Gründer Bill Gates gemeint) tituliert hatte. Beide Manager sind eigentlich geborene Rivalen - beide sind fast gleich alt (McNealy ist 49, Ballmer 48 Jahre alt), wuchsen in Detroiter Vorstädten auf, wo ihre Väter bei konkurrierenden Autofirmen arbeiteten, besuchten konkurrierende High Schools und traten im gleichen Jahr in die Harvard University beziehungsweise Stanford Business School ein.

Beide Herren war aber allen Eskapaden vor allem McNealys zum Trotz über die Jahre hinweg zumindest so freundschaftlich verblieben, dass Anfang Juli eine hochrangige Microsoft-Delegation unter Leitung von Ballmer und Gates nach Palo Alto flog, um die geheimen Verhandlungen zwischen beiden Firmen aufzunehmen. Die Büros von Sun waren wegen des 4. Juli praktischerweise entvölkert. Gates begegnete trotzdem einem Sun-Entwickler, der gerade seinen Hund ausführte, und erntete verwirrte Blicke.

Letzten Endes gemeinsame Strategie

Beide Firmen skizzierten die Grundzüge ihre Zusammenarbeit und kamen zu dem Schluss, dass sie bei allen Gegensätzlichkeiten doch etwas grundlegend gemeinsam hätten - nämlich eine Strategie, die darauf fußt, neue Technik zu entwickeln und zu verkaufen. IBM Markenzeichen dagegen ist Beratungsleistung, die Rechner, Software und Netze so kombiniert, dass Anwender weniger abhängig von einzelnen Herstellern werden. Sun und Microsoft instieren, dass beide auch künftig miteinander im Wettbewerb stehen werden. Bei den Verhandlungen kamen sie aber laut Hank Vigil, einem auf Seiten Microsofts beteiligten Executive Vice President, zu dem Schluss, dass es "im Vergleich zu anderen Möglichkeiten in beiderseitigem Nutzen" sei, die Produkte beider Firmen interoperabler zu gestalten.

Über den Sommer und Herbst hinweg trafen sich die Teams beider Firmen dann praktisch alle vierzehn Tage und sprachen oder telefonierten regelmäßig. Dabei war der Anfang angesichts der gemeinsamen Historie wohl alles andere als einfach. "Wir begannen auf einer sehr niedrigen Vertrauensebene", erinnert sich Suns Vice President für Rechtsfragen Lee Patch. "Wir mussten eine Architektur für die Beziehung schaffen, die Vertrauen schaffen würde."

Laut "Wall Street Journal" kristallisierten sich rasch vier wichtige Paare heraus: Patch und Smith für die juristischen Fragen, technische Probleme diskutierten Gates und Suns Chief Technology Officer Greg Papadopoulos, um Business-Themen kümmerten sich Vigil und seitens Sun Mark Tolliver. McNealy und Ballmer schließlich schalteten sich jeden Freitag zu einer Telefonkonferenz zu, um die Fortschritte zu prüfen.

Die Verhandlungen gerieten allerdings Ende des Jahres immer mehr ins Stocken. Beiden Firmen wurde immer klarer, dass für eine spätere Kooperation eine Bewertung der Patente der Gegenseite von großer Bedeutung sein würde. Als weiteres großes Problem erwies sich die Konkurrenzsituation zwischen Suns Java und Microsofts C# und die Möglichkeit vereinheitlichter Programmierwerkzeuge für die beiderseitigen Kunden. Hier kam man nicht weiter, und beide Seiten beschlossen am 15. Dezember, die Verhandlungen auszusetzen - laut McNealy eine nötige "Atempause" und auch für Microsoft nicht ungelegen, da der Konzern und speziell Chefunterhändler Brad Smith gerade mit den Schlichtungsgesprächen in Brüssel hinreichend ausgelastet war.

Viele Fragen bleiben vorerst offen

Auf niedere Ebene, speziell zwischen Vigil und Tolliver, gingen die Gespräche aber bereits weiter. Offiziell wurden sie am 18. März reanimiert, als Steve Ballmer auf dem Rückflug nach den gescheiterten dreitägigen Gesprächen mit der EU-Kommission Smiths Ansinnen befürwortete, am kommenden Tag seinen Kontrapart Patch anzurufen. "Gut. Bring die Sache voran", sagte Ballmer Smith nach dessen Angaben. Auf Smiths Anruf am 19. März folgten zwei Wochen intensiver Verhandlungen, in denen fast täglich neue Entwürfe der Kooperation hin- und hergemailt wurden.

In der vergangenen Woche wurden die Gespräche dann unter Hochdruck zum Abschluss gebracht, unter anderem in einem 17-stündigen Meeting Vigil mit Sun am Tag nach einem Dinner zur Feier der Kartelleinigung mit AOL ein Jahr zuvor. Am Freitag trafen beide Seiten kurz nach Mitternacht zu einem finalen Treffen in San Francisco zusammen und unterzeichneten schließlich den Vertrag um 4:22 Uhr früh.

Viele der darin enthaltenen Themen werden erst zukünftig geklärt werde können. Smith geht davon aus, dass beide Firmen einen Management-Ausschuss etablieren werden, der regelmäßig zusammentritt, und Teams aufstellen, die sich im Alltag um technische und geschäftliche Fragen der Kooperation kümmern. Ballmer und McNealy wollen sich binnen drei Monaten wieder zusammensetzen. "Das sieht für uns beide eher nach einer ersten denn nach der finalen Phase aus", erklärte der Microsoft-Chef. "Ich denke, wir haben eine klare und dauerhafte Verpflichtung, diese Beziehung mit Leben zu füllen."

Den Anlegern gefiel diese Aussicht übrigens gut. Die Aktie von Sun legte am Freitag um über 20 Prozent zu und schloss zum Fixing an der Nasdaq um 87 Cent fester bei 5,06 Dollar. Auch Microsofts Papier steigerte sich um immerhin 77 Cent auf 25,85 Dollar. (tc)