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Komplette Softwareentwicklung steht auf dem Prüfstand

Deutsche Bank lagert massiv IT-Aufgaben aus

02.10.2003
Nach der Auslagerung der IT-Infrastruktur erwägt das Management der Deutschen Bank, wesentliche Teile der Anwendungsentwicklung an externe Dienstleister abzugeben.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Outsourcing-Strategie der Deutschen Bank geht erheblich weiter als bisher bekannt. Nach der Auslagerung der IT-Infrastruktur erwägt das Management, wesentliche Teile der einst als Kernkompetenz erachteten Anwendungsentwicklung an externe Dienstleister abzugeben. Gestern gab das Unternehmen zudem bekannt, den Zahlungsverkehr künftig von der Postbank abwickeln zu lassen

Offiziell gibt man sich in der Konzernzentrale noch zugeknöpft. "Die Bank prüft in verschiedenen Bereichen der Anwendungsentwicklung, ob ein Outsourcing sinnvoll ist", erklärte Firmensprecher Klaus Thoma. Mit Ausnahme des Bereichs Human Resources sei aber noch keine Entscheidung gefallen.

Doch intern hat das Management die Belegschaft bereits über anstehende Outsourcing-Projekte informiert. Nachdem bereits die IT-Infrastruktur an IBM und die Softwareentwicklung für die Personalverwaltung an Accenture ausgelagert wurden, stehen nun weitere Bereiche zur Disposition, erfuhren die Mitarbeiter auf einer Betriebsversammlung am 24. September: Die Entwicklung und Wartung der SAP-Programme zählt dazu ebenso wie Vertriebssysteme und Investment-Pogramme, worunter etwa Software für die Anlageberatung fällt. Selbst Kernanwendungen wie die Kundendatenverwaltung will Europas größtes Kreditinstitut aus der Hand geben. Hinzu kommen der Netzbetrieb und der komplette Einkauf. Letztere Funktion übernimmt ebenfalls der Servicepartner Accenture.

In den betroffenen Bereichen arbeiten rund 800 Angestellte, ist aus dem Unternehmen zu hören. Nach einer Auslagerung könnten nur noch 20 bis 30 Prozent von ihnen für Steuerungs- und Verwaltungsaufgaben im Unternehmen verbleiben. In der weltweiten IT-Organisation GTO (Global Technology Operation) wolle der Konzern zudem 5000 bis 6000 Stellen abbauen. Dies sei aus einer internen Präsentation hervorgegangen, die den Mitarbeitern inzwischen nicht mehr zugänglich sei.

Die Deutsche Bank bestätigt diese Zahlen nicht. Ebenso wenig will man sich öffentlich auf konkrete Einsparziele festlegen. Ulrich Meister, Chief Information Officer für den Bereich GTO - Private Business Clients, hatte kürzlich im Zusammenhang mit Offshore-Programmierung eine Kostensenkung um 20 bis 30 Prozent als realistisch bezeichnet.

Firmensprecher Thoma begründet die jüngsten Auslagerungspläne mit dem Bestreben, Kosten zu variabilisieren, technische Innovationen über externe Dienstleister zu nutzen und die Standardisierung im Haus voranzutreiben. Den Vorwurf aus der Belegschaft, die Bank gebe damit auch Branchen- und Prozess-Know-how aus der Hand, lässt er nicht gelten: "Strategische Aufgaben, die Steuerung und das Wissen um die Prozesse und Anforderungen im Bankbetrieb bleiben im Unternehmen."

Dennoch zeichnet sich seit dem Amtsantritt von Konzernchef Josef Ackermann im Mai 2002 eine Neubewertung der IT ab. Im Zuge der Auslagerung des Rechenzentrumsbetriebs an IBM hatte Chief Operating Officer Hermann-Josef Lamberti noch proklamiert, IT sei "eine der Kernkompetenzen der Deutschen Bank. Diese Aussage gilt weiterhin, weil alle unsere Produkte digital sind", so der IT-Vorstand seinerzeit. Das klingt heute anders. Die IT bilde nach wie vor "ein Kernstück der Bank", formuliert Thoma vorsichtig. Damit sei auch eine Kernkompetenz verbunden, was aber nicht bedeute, dass man alles selber machen müsse.

T-Systems und IBM in der Endauswahl

Am weitesten fortgeschritten sind die Auslagerungspläne für die SAP-Anwendungen, berichten betroffene Mitarbeiter. Demnach befinden sich IBM einerseits und eine Gruppe aus T-Systems und dem Offshore-Anbieter HCL Technologies andererseits in der Endauswahl. Für die Bereiche Distribution Systems (Vertriebsanwendungen) und Core (beispielsweise Kundendatenverwaltung) hat die Deutsche Bank mehrere Dienstleister um Angebote gebeten. Gleiches ist für die Sparte Investment Systems geplant. Im Rahmen des Projekts "Symphony" wollen die Frankfurter zudem den Netzbetrieb weltweit an drei bis vier Dienstleister abgeben.

Für jedes der intern als Wellen bezeichneten Outsourcing-Vorhaben möchte das Management jeweils andere Servicepartner ins Boot holen. Damit solle das Risiko gestreut und eine Abhängigkeit von einem Dienstleister vermieden werden. Allerdings bringe ein komplexes Netz an Zulieferern erhebliche Koordinationsrisiken mit sich, fürchten Mitarbeiter.

Wie schwierig sich das Management großer Outsourcing-Projekte gestalten könne, zeige schon das Verhältnis zum RZ-Outsourcer IBM. In der Frankfurter Vorstandsetage herrsche große Unzufriedenheit mit den bisher erbrachten Leistungen, berichten Insider. Dazu passt ein Bericht in der Oktoberausgabe der Fachzeitschrift "DM Euro". Der Autor verweist darin auf interne Revisionsberichte, die "gravierende Schwächen in der Notfallfähigkeit der Informationstechnologie" bemängelten. Beamte der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) hätten bereits Einblick in die Berichte verlangt. (wh)