4G-Collaboration lenkt die Informationsflut

28.09.2010
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Markus Strehlitz beschäftigt sich als freier Journalist mit allen Aspekten rund um das Thema Informationstechnologie sowie weiteren Technikthemen. Er schreibt sowohl für Fachzeitschriften wie COMPUTERWOCHE und Online-Medien als auch für Tageszeitungen oder Wissenschaftsmagazine. Vor seiner Selbständigkeit arbeitete er als Redakteur im Software-Ressort der Computer Zeitung.
E-Mails, Instant Messages, Blogs – viele Hersteller arbeiten daran, die verschiedenen Kanäle auf einer Oberfläche zu bündeln. Gartner erwartet damit eine neue Generation von Collaboration-Plattformen.

Jede Collaboration-Generation schafft die Probleme, welche die nächste lösen muss", behauptet Gartner-Analyst Jeffrey Mann. Nach Zählung der Analysten gibt es bisher drei Generationen von Werkzeugen für die Zusammenarbeit: Bei der ersten ging es um die Bereitstellung von E-Mail- und Kalenderfunktionen. Dazu kamen anschließend Instant Messaging, Web-Conferencing sowie die Möglichkeit, Dateien und Dokumente auszutauschen. Die dritte, aktuelle Generation zeichnet sich durch das Einbinden von Social Software aus – also zum Beispiel Wikis, Blogs und Communities. Doch genau in dieser Fülle an Kommunikationskanälen liegt das Problem.

"Es gibt zu viele Informationsquellen", stellt Mann fest. "Mails, Instant Messages, Postings und andere – das alles lässt sich mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr verwalten." Der Gartner-Experte glaubt deshalb, dass eine vierte Generation an Collaboration-Services notwendig ist, mit der die Informationsflut in geordnete Bahnen gelenkt wird. Das ist keine reine Theorie. Verschiedene Anbieter arbeiten an Lösungen, die in diese Richtung zielen. Von Cisco ist eine entsprechende Collaboration-Plattform unter der Bezeichnung "Quad" bereits in den USA und Kanada verfügbar.

Framework integriert Techniken

Den Status des Technical Review besitzt dagegen noch die Lösung "Pulse" von Novell. In einer noch früheren Phase steckt IBM. Lotus, die Collaboration-Sparte des IT-Riesen, hat vor Kurzem das Projekt "Vulcan" mit sehr ambitionierten Plänen gestartet. Konkrete Ergebnisse sind aber erst für Anfang des kommenden Jahres zu erwarten.

Im Kern geht es bei diesen mehr oder weniger ausgereiften Lösungen darum, ein Framework zur Verfügung zu stellen, das die verschiedenen Collaboration-Techniken bündelt. Der Nutzer erhält eine Oberfläche, die als Inbox für alle Kommunikationskanäle dienen soll, denn bislang existiert beim Anwender in der Regel für jede Technik eine eigene Applikation. Er muss also von Anwendung zu Anwendung springen, wenn er die verschiedenen Kanäle bedienen möchte.

Doch bei den Lösungen von Cisco und Novell arbeitet er nun mit einer einzigen Browser-basierenden Arbeitsumgebung – quasi einem Portal für alle Kommunikationsdienste. Im Zentrum von IBMs Project Vulcan steht dagegen die Groupware Lotus Notes als Client. Aber auch die anderen Lotus-Produkte sollen als Interface dienen, wie etwa die Web-2.0-Plattform Connections. Denkbar ist laut Peter Schütt, Leader Software Strategy bei Lotus Deutschland, zudem ein Zugang über den Browser. Die neuen Collaboration-Clients kann sich der Nutzer selbst individuell zusammenstellen. "Der Anwender baut sich seine eigene Oberfläche", erklärt Ernst Engelmann, Business Development Manager Collaboration bei Cisco.

Die Collaboration-Systeme, die sich mit diesen Frameworks zusammenführen lassen, können dabei von verschiedenen Anbietern stammen. Schließlich ist in den Unternehmen eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte für die Zusammenarbeit im Einsatz. Novell und Cisco weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie über Standardprotokolle zum Beispiel Mail-Systeme integrieren, die schon im Unternehmen vorhanden sind. Wie eine Verknüpfung verschiedener Collaboration-Technologien aussehen kann, zeigt etwa IBM bereits jetzt mit Lotus Notes. Zu eintreffenden E-Mails werden dort unter anderem die passenden Kontakt- und Präsenzinformationen in Form einer digitalen Visitenkarte geliefert. In Bezug auf sein Project Vulcan betont Big Blue dessen Offenheit – auch gegenüber anderen Anbietern.

Mehr hybride Anwendungen

Zur Vereinheitlichung der bereits im Unternehmen installierten Collaboration-Landschaft zählt künftig auch, dass die Teamanwendungen aus einer Kombination von lokal installierter Software und Systemen aus der Cloud bestehen können. Bisher müssten sich Unternehmen meist noch zwischen diesen beiden Konzepten entscheiden, so Mann. Künftig werde es aber zunehmend hybride Lösungen geben. Über einen im eigenen Haus installierten Client könnte der Nutzer zum Beispiel Zugang zu einem virtuellen Teamraum in der Cloud erhalten.

Ein anderer Techniktrend besteht darin, dass kommende Plattformen dem Nutzer zunehmend mehr Freiheit bei der Wahl des Endgeräts bieten. So hat er seine Kommunikationskanäle nicht nur über den Desktop-PC im Blick, sondern auch über das Smartphone oder einen Tablet-Rechner. Von Ciscos Quad gibt es zum Beispiel mobile Versionen für das iPhone und das iPad.

Der Einfluss von Consumer-Techniken auf die IT der Geschäftswelt zeigt sich auch darin, dass sich Anwendungen für Privatnutzer auf der einen und Business-Systeme auf der anderen Seite immer öfter vermischen. So erwartet Gartner unter anderem eine stärkere Integration von sozialen Netzwerken wie Facebook oder Angeboten wie etwa Skype in die Collaboration-Plattformen der Unternehmen. Neuigkeiten aus diesen Anwendungen laufen somit ein in den Nachrichtenstrom, den der Mitarbeiter im Unternehmen erhält. Der Einfluss der Social Software zeigt sich auch im Design der Oberflächen. Zum Beispiel wirbt Cisco damit, dass seine Plattform das Look and Feel von Facebook besitze.

Bei so viel Consumer-Technik im Unternehmen muss allerdings gewährleistet sein, dass die neuen Collaboration-Plattformen auch noch den Anforderungen der Geschäftswelt genügen – vor allem in Bezug auf Sicherheit und Schutz. So integriert etwa Novell die hauseigenen Verfahren für Identitäts-Management, Zugangskontrolle und Auditierung in seine Lösung. "Die Verantwortlichen in den Firmen haben somit die Kontrolle darüber, wie die Collaboration-Funktionen in ihrer Organisation genutzt und welche Inhalte veröffentlicht werden", erläutert Michael Kleist, Director End-User Computing bei Novell.

Über den Standard CMIS verknüpft Konkurrent Cisco seine Plattform außerdem mit den Content-Management-Systemen anderer Hersteller. Somit lassen sich deren Funktionen für den sicheren und geregelten Umgang mit Inhalten auch in der Collaboration-Umgebung nutzen.

Sicherheit per Analyse

IBM will seine Analysemechanismen einsetzen, um zum Beispiel zu überwachen, ob interne Blog-Einträge den Firmenrichtlinien entsprechen. Auf Basis der Funktion eines Mitarbeiters kann die Software erkennen, welche Informationen dieser veröffentlichen darf und welche nicht. Laut Kleist arbeitet auch Novell an solchen Analysefähigkeiten. Ob diese allerdings in Pulse integriert werden, ist bis jetzt unklar, da es vor allem noch Aspekte des Datenschutzes zu klären gilt.

Unabhängig von solchen Bedenken wird Analysetechnik laut Gartner-Experte Mann eine wichtige Rolle in den Collaboration-Lösungen der vierten Generation spielen. Mit Hilfe von so genannten Social-Analytics-Funktionen werden die Systeme dem Nutzer zum Beispiel Auskunft darüber geben können, mit wem er am häufigsten kommuniziert oder was die beste Zeit ist, um eine schnelle Antwort von einem bestimmten Kontakt zu erhalten. Denkbar sind laut Mann auch firmenweite Statistiken, die etwa zeigen, welche Netzwerke sich innerhalb einer Organisation gebildet haben oder welche Themen am stärksten diskutiert werden. "Social Analytics bieten nützliche Informationen, und Collaboration-Systeme der vierten Generation sind einer der Bereiche, die davon profitieren werden."

IBM hält diesen Aspekt für so wichtig, dass man ihn in den Mittelpunkt von Vulcan stellt. Die Vision: Mit Hilfe von Social Analytics soll das System selbständig erkennen können, welche Kontakte oder Informationen zu Ansprechpartnern ein Anwender gerade für seine Tätigkeit benötigt. "Der Desktop ist nicht mehr nur ein passives Werkzeug, sondern wird selbst aktiv", erklärt Gartner-Analyst Tom Austin. Er glaubt, dass Vulcan die Art und Weise, wie Menschen arbeiten, fundamental verändern könnte. Auch sein Kollege Mann ist der Meinung, dass sich IBM mit Vulcan bereits stark dem Bild nähert, das Gartner von einer vierten Collaboration-Generation entworfen hat. Doch es bleibe abzuwarten, wie konkrete Lösungen auf dieser Basis tatsächlich aussehen werden. Bisher gibt es nur Ankündigungen.

Google Wave nahm vieles vorweg

Insgesamt bieten die in Aussicht gestellten oder schon vorhandenen Lösungen der Hersteller jeweils nur einzelne Elemente des von Gartner gezeichneten umfassenden Systems. Eine Lösung, die bereits sehr viele der geforderten Komponenten vereinte, gibt es mittlerweile nicht mehr: Google Wave. Die Plattform kombinierte Funktionen wie E-Mail, Instant Messaging, Wikis und gemeinsames Bearbeiten von Dokumenten. Doch Google stellte den Dienst im August ein. "Ich denke nicht, dass dies das Ende von Googles Engagement im Collaboration-Bereich sein wird", prophezeit Mann. Google habe bereits angekündigt, Teile von Wave in den Mail-Service Gmail zu integrieren. Doch die Internet-Company sei nach wie vor damit beschäftigt, die Geschäftswelt von den Vorzügen ihrer Produkte zu überzeugen. Deshalb versucht Novell im Rahmen von Pulse, die Wave-Technik für den Business-Sektor zu erschließen. Denn neben dem einstigen Google-Dienst steht Wave auch für das darunterliegende Open-Source-Protokoll, das auf dem Web-Standard XMPP basiert und den Pulse ebenfalls nutzt.

Microsofts Sonderweg

Während die Konkurrenz so die Konvergenz im Collaboration-Geschäft vorantreibt, denkt der größte Player in diesem Bereich noch in Einzelprodukten. Zwar bietet Microsoft Integrationen zwischen seinen Produkten Exchange, Office Communication Server und SharePoint. Doch die einzelnen Techniken adressieren unterschiedliche Nutzergruppen und verschiedene Einsatzszenarien, so Unternehmenssprecher Frank Mihm-Gebauer, der sich aber durchaus vorstellen kann, dass mit kommenden Produktversionen eine Bündelung der verschiedenen Collaboration-Systeme vonstatten geht. Als universelles Frontend werde dann Outlook fungieren, glaubt Mann. Aufgrund der starken Verbreitung von Microsoft-Produkten haben die Redmonder seiner Meinung nach gute Chancen, auch in der kommenden Generation von Collaboration-Werkzeugen die bestimmende Rolle einzunehmen.

Erste Schritte mit Lync Server

Die wichtigsten Anbieter und ihre Produktpläne

Anbieter

Produkt/Konzept

Highlights

Verfügbarkeit

Cisco

Quad

Browser-basierende Oberfläche; vereint Funktionen für Groupware, Blog, Video, Instant Messaging und visuelle Voice-Mail; Integration in Content-Management möglich.

Bisher nur in den USA und Kanada verfügbar. Cisco Deutschland testet die Plattform gerade im eigenen Haus.Sowohl für die lokale Installation als auch als Cloud-Service konzipiert.

IBM

Project Vulcan

Nutzt Notes und andere Lotus-Produkte als Oberfläche.Vereint Groupware, Instant Messaging und Social Software. Social-Analytics-Funktionen sollen den Nutzer unterstützen.

Services für Entwickler sollen Ende dieses Jahres verfügbar sein. Konkrete Lösungen auf Basis von Vulcan sind voraussichtlich für Anfang 2011 zu erwarten.

Microsoft

Office Communication Server (jetzt Lync Server), SharePoint und Exchange

Die Produkte decken verschiedene Einsatzszenarien ab, ihre weitgehende Integration ist möglich. Lync Server fungiert als zentrale Oberfläche für die Echtzeitkommunikation; Gartner erwartet Outlook als universellen Client für kommende Fusionen der Collaboration-Techniken Microsofts.

SharePoint und Exchange 2010 sind seit Längerem auf dem Markt, Lync Server 2010 steht als Release Candidate zum Download zur Verfügung (die finale Version ist noch für dieses Jahr geplant).

Novell

Pulse

Browser-basierende Oberfläche; vereint E-Mail, Instant Messaging, Social Software und gemeinschaftliches Bearbeiten von Dokumenten; Integration von Identity- und Access-Management sowie Auditierung; verwendet unter anderem das Wave-Protokoll.

Liegt derzeit als Technical Preview vor. Im laufenden November soll die Betaversion als Cloud-Service verfügbar sein. Eine Version zur lokalen Installation soll später folgen.

Erste Schritte sind getan. So hat der Softwarekonzern begonnen, seine Produkte für die synchrone Zusammenarbeit – also die Kommunikation in Echtzeit – auf einer Plattform zusammenzuführen. Die neue Version des Office Communication Server heißt Lync Server 2010 und vereint Presence-, Instant-Messaging-, Conferencing- und Enterprise-Voice-Funktionen. Derzeit liegt das Produkt als Release Candidate vor. Die finale Version soll noch dieses Jahr veröffentlicht werden. (ue)