40 Stunden sind in der IT längst Realität

15.07.2004
Von 
Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.

Der Wissenschaftler vermutet, dass längere Arbeitszeiten als Umweg genutzt werden sollen, um die Einkommen zu senken. "Bezeichnenderweise ist 'zurück' das gegenwärtig am häufigsten verwendete Wort. Ein Land, das vom Wissen seiner Beschäftigten abhängt und einen wachsenden Bedarf an qualifizierten Dienstleistungen hat, sollte besser nach vorne blicken und eine Vorauswirtschaft betreiben", empfiehlt Lehndorff. Auch der Wirtschaftsweise Peter Bofinger warnt vor den volkswirtschaftlichen Gefahren von unbezahlter Mehrarbeit. Dadurch gehe die Kaufkraft zurück, eine Deflation könne die Folge sein.

Entwickler wünschen sich flexible Arbeitszeiten

In den Regionalbüros der Gewerkschaften Verdi oder der IG Metall gibt es kaum Anfragen von tarifgebundenen IT-Unternehmen, die vereinbarten Arbeitszeiten nach oben zu korrigieren. "Die Beschäftigten in der IT-Branche arbeiten sowieso schon länger", bestätigt Wolfgang Müller von der IG Metall in München. Auch Stephan Pfisterer vom Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) weiß, dass "40 Stunden plus" eher die Regel als eine Ausnahme darstellen.

Die SAP AG, die weder tarifgebunden ist noch einen Betriebsrat hat, vereinbart für ihre Vollzeitbeschäftigten Verträge, in denen die 40-Stunden-Woche Standard ist. Überstunden sind über das Gehalt abgegolten. Sind Projekte einmal zeitintensiver, können Mitarbeiter im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit nach Projektabschluss einen Freizeitausgleich nehmen. Aber auch tarifgebundene Unternehmen wie Audi haben Lösungen gefunden, mit denen sie sich eine größere Flexibilität geschaffen haben. Konzernweit kann der Autobauer für 13 Prozent seiner Mitarbeiter die Wochenarbeitszeit von 35 auf 40 Stunden erhöhen. "Bisher haben wir nur für acht Prozent unserer Beschäftigten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht", erläutert eine Unternehmenssprecherin. Zeitkonten bieten eine weitere flexible Lösung. Um Entlassungen zu vermeiden, senkte die Deutsche Telekom im Frühjahr sogar die wöchentliche Arbeitszeit von 38 auf 34

Stunden.

Die IT-Branche nimmt mit zahlreichen flexiblen Arbeitszeitmodellen und individuell ausgehandelten Arbeitsverträgen schon heute eine Vorreiterrolle ein. Aber auch, was die langen Wochenarbeitszeiten betrifft, führt sie die Rangliste an. Nach einer Umfrage der COMPUTERWOCHE arbeiten die meisten IT-Mitarbeiter weit mehr als 40 Stunden. 31,7 Prozent gaben an, bis zu 45 Wochenarbeitsstunden abzuleisten, 25,7 Prozent verbringen rund 50 Stunden pro Woche am Arbeitsplatz, und immerhin 23,7 Prozent der 1762 Befragten arbeiten mehr als 50 Stunden.