Diskussion um Prozessorstandard reißt nicht ab:

386-Anbieter fürchten Hinhaltetaktik der IBM

05.12.1986

MÜNCHEN (CW) - Rechner auf Basis des Intel-Chips 80386 standen im Mittelpunkt der Diskussionen auf der jüngst zu Ende gegangenen PC-Messe Comdex/Fall 86 in Las Vegas. Dabei wollten auch Gerüchte nicht verstummen, denen zufolge IBM an einer für den Rest der 80386-Welt nicht kompatiblen Maschine arbeite.

Diese Möglichkeit beleuchtete vor allem ein Bericht des amerikanischen CW-Schwesterblattes Computerworld. In dem Artikel wird der Geschäftsführer der Firma Forrester Research Inc., George F. Colony, zitiert. Nach seiner Vorstellung wird die Einführung eines IBM-PC mit 32-Bit-Prozessor dazu führen, daß derzeitige Anbieter vergleichbarer Maschinen "aus dem Wasser geblasen werden". "Wenn IBM seine Ankündigung macht, wird ein rasendes Wetteifern bei den anderen 386-Anbietern losbrechen, um ihre Maschinen kompatibel zu machen. Die jetzt am Markt befindlichen Rechner werden dann schnell überholt sein."

Inkompatibilitäten werden in drei Bereichen erwartet: Beim 32-Bit-Datenbus, bei einem speziell zu erstellenden Network-BIOS und bei einer IBM-eigenen Version des Mikroprozessors. Big Blue hat vor einiger Zeit von Intel das Recht erworben, diesen Prozessor in eigener Regie zu modifizieren und bei Lieferengpässen selbst zu fertigen. Dem steht allerdings nach Meinung von Intel-Experten ein unverhältnismäßig großer zeitlicher und finanzieller Aufwand gegenüber, den eine Modifikation des Chips mit sich bringen würde Außerdem, so betonte ein Intel-Sprecher der COMPUTERWOCHE gegenüber, habe sein Unternehmen dem gleichen Vertrag zufolge das Recht, alle von IBM vorgenommenen Modifikationen selbst zu vermarkten und an potentielle Hersteller kompatibler Geräte zu liefern. Dies würde einen eventuellen IBM-Vorteil deutlich relativieren.

Anbieter wollen eigenen 386-Standard setzen

Ein anderer Bericht des internationalen CW-Netzes befaßt sich mit den Eigenschaften der von IBM derzeit an einige Softwarehäuser ausgelieferten Prototypen eines 32-Bit-PC. Die beschriebenen Rechner sollen mit einer Taktfrequenz von 16 Megahertz laufen und ohne Wartezyklen auf 4,4 Megabyte RAM zugreifen können. Die Prototypen sind außerdem gegenwärtig noch mit einem 8088 mit eigenem Hauptspeicher (512 KB) ausgestattet, der als Server-Prozessor dienen soll. Dieser soll jedoch, wie ein der IBM-Entwicklungsabteilung nahestehender Fachmann mitteilte, in der endgültigen Version nicht mehr enthalten sein.

Aus dem gleichen Bericht geht hervor, daß gegenwärtig ausgelieferte 386-Maschinen noch mit Mängeln behaftet seien, die die Nutzung des Protected Mode verhinderten, Dies sei auf Fehler im Chipdesign des Prozessors zurückzuführen und mache eine Überarbeitung der Belichtungsmasken erforderlich. Da gerade IBM großes Interesse an der Nutzung dieser Fähigkeiten habe, sei mit einer weiteren Verzögerung bei der Vorstellung einer solchen Maschine von Mother Blue zu rechnen.

Unterdessen hat Compaq sich gemeinsam mit den anderen Anbietern von PCs mit der 32-Bit-CPU - Zenith, Corvus und weitere - auf einen Wettlauf gegen die Zeit eingelassen. Ziel ist, die bis zur Präsentation eines eventuell nicht mehr kompatiblen IBM-Super-PC verstreichende Frist optimal zu nutzen und so viele Systeme wie möglich abzusetzen, um so die normative Kraft des Faktischen wirken zu lassen. Eine große Basis installierter Systeme würde nämlich, so die Überlegungen der Anbieter, einen eigenen Standard schaffen, den auch IBM nicht einfach ignorieren könne. Nach den Worten des Compaq-Präsidenten Rod Canion steht allerdings nicht Konkurrent IBM im Mittelpunkt seiner Überlegungen, sondern ein Standard als solcher. In diesem Zusammenhang erklärte Canion, er glaube nicht an eine IBM-spezifische Version des 80386.

Compaq beabsichtigt, ein Basismodell seines Deskpro 386 auf den Markt zu bringen, welches als Fileserver, CAD/CAM oder sonstige Hochleistungs-Workstation konfigurierbar ist. Der Vorteil bei Anwendungen dieser Leistungsklasse sei, daß man unter Unix beziehungsweise Xenix operiere, und diese Betriebssysteme seien weniger anfällig gegenüber den Wechselfällen einer IBM-Politik, erklärte Clare Fleig, die Chefin der Systemforschung beim Marktforschungsunternehmen International Technology Group in Los Altos. Gleichzeitig kritisierte Fleig den Mangel an Unix-Anwendersoftware für die Compaq-Maschine. "Ich glaube nicht, daß Compaq in der Lage ist, einen Industriestandard zu setzen, wie IBM es getan hat, solange es für den 386 keine Anwendersoftware und kein funktionierendes Betriebssystem gibt", erklärte die Marktforscherin.