38: Big Blues Kabinettstück mit bewegter Geschichte

22.06.1984

Ein bewegter Werdegang charakterisiert die Marktentwicklung des IBM-Systems /38: Die vielen Tiefs wurden, so Klaus Hüttenberger von der Diebold Deutschland GmbH, erst im Laufe der letzten eineinhalb Jahre überwunden. Der Marktexperte verweist hier beispielhaft auf die Durchsatzprobleme der Zentraleinheit und die schwachen Recovery-Funktionen der Datenbank. Als technisches Kabinettstückchen aus der Sicht des Benutzers sieht hingegen Walter Stahlschmidt, Leiter Org./IS bei der Astra Chemical GmbH, Wedel/Holstein, die /38. Bislang gebe es auf dem Markt keinen Rechner, bei dem eine Datenbank so tief in der Maschine implementiert wurde. Klar sein muß sich der Anwender nach Ansicht von Andreas Quint, Leiter Org./DV bei der Berliner Dr. Bruno Lange GmbH, daß beim Einsatz der /38 alle vorhandenen Funktionen und Abläufe neu zu konzipieren seien, um die Möglichkeiten des Systems voll auszunutzen. kul

Karl-Heinz Aufermann

Leiter Org./DV, Bochum

In seiner derzeit gültigen Version der relationalen Datenbank läßt sich das System /38 von IBM mit keinem anderen Rechner auf dem Computermarkt vergleichen. Selbst im Hause IBM gibt es nichts -Äquivalentes. Die /38 steht allein da und ist somit die Richtschnur für Big Blue. Daß diese Maschine den "Stallgeruch" eines kaufmännisch orientierten Rechners hat, muß sich der DV-Gigant selbst zuschreiben: Das Hochjubeln der Programmiersprache RPG III hat dazu geführt, daß die /38 allmählich in die Produktpalette des Systems /3 eingereiht wurde.

Im Markt langjährig erprobte Softwareproduktionen, teilweise durch die IBM an den Mann gebracht, erschweren dem Anwender den Einstieg in das System /38. Die Folge ist ein im Vergleich zur Software unverhältnismäßig hoher Hardwarebedarf.

Die Zukunft der /38 zeichnet sich klar ab. Bei den eventuell anstehenden Datenbankerweiterungen ist es das einzige System auf dem Markt, dessen Preis/Leistungs-Verhältnis sich transparent darstellen läßt. Organisation, Datenbankmanagement und Programmierung sind um weit 50 Prozent in der Effektivität gestiegen. DV-Manpower und administrative DV-Abteilungen gehören zum Schnee von gestern.

Wer hatte denn vor zwei oder drei Jahren den Mut, innerhalb von drei Monaten eine mandantenfähige Buchhaltung installieren zu wollen? Heute, mit der /38, läßt sich demgegenüber in einem Mannmonat eine ganze Menge erreichen: Neben Organisation, Realisierung des Datenmanagements und der Anpassungsprogrammierung ist es möglich, Einführung und Schulung in der Fachabteilung für drei Unternehmen mit der /38 zu bewältigen. Sicherlich wird in einem solchen Fall einige Knochenarbeit erforderlich, aber allein schon der Zeitnutzen rechtfertigt es, ein solches Experiment durchzuführen.

Der Softwaremarkt hat sich dieser Entwicklung noch lange nicht angepaßt. Es gibt leider nur wenige Softwarehäuser, die Produkte mit optimaler Nutzung der Systemarchitektur der /38 anbieten können. Der Anwender muß lange suchen, um gesicherte Software zu finden.

Ich installiere gegenwärtig ein PPS-System auf der /38. Dieses Planungs- und Produktionssteuerungssystem für reine Einzelfertigung ist in Cobol geschrieben und beinhaltet alle Funktionen der /38. Unter solchen Aspekten zeichnet sich ab, daß die /38 das System der Zukunft ist.

IBM sollte sich nicht nur mit neuen Vertriebsorganisationen beschäftigen. Der Hersteller muß seinem Anwender vielmehr behutsam und verstärkt eine fachgerechte /38-Betreuung geben, damit die Maschine auch ein System mit Zukunft bleibt. Wenn sich Big Blue aber nicht mit seiner Vertriebsstrategie an die Entwicklung der /38 anpaßt, könnte sich für den Anwender eine Parallele zu 1978/79 ergeben: Bis zum September 1978 war das IBM-System /3 Modell 15 das Nonplusultra. Im Oktober dieses Jahres galt es als "in", eine /38 unter Vertrag zu haben. Im August 1979 kam dann die große Schlappe: Das System /38 gibt es nicht.

Die Anwender müssen verstärkt auf IBM einwirken, damit Weiterentwicklungen schnell und zügig durchgeführt werden. Jeder 43XX-Benutzer ist sich heute darüber im Klaren, daß es angesichts einer Budgetüberprüfung nicht mehr zu vertreten ist, keine /38 zu installieren. Selbst die eigene Hauskonkurrenz bei Big Blue konnte keine negativen Argumente gegen dieses System finden.

Andreas Quint

Leiter Org./DV, Dr. Bruno

Lange GmbH, Berlin

Als 1978 die /38 angekündigt wurde, wurde sie als Maschine mit völlig neuer Architektur bezeichnet. Neu war vor allem das Konzept des Betriebssystems mit integrierter Datenbank, für das es kein vergleichbares gab.

Lange Zeit war dann unklar, in welche Richtung sich die /38 entwickeln wird beziehungsweise in welche Richtung die IBM die /38 fördern will. Es bestand die Frage: Ist die /38 als Hilfsrechner für größere Systeme vorgesehen und erfährt keine eigenständige weitere Entwicklung, oder bleibt sie als eigenständige Produktlinie bestehen und wird weiterentwickelt? Hervorgerufen wurde diese Unsicherheit vor allem durch die IBM, die sich bei der Bekanntgabe von Plänen und Neuerungen bekanntlich sehr schwertut. Nachdem die Produktlinie /38 gestrafft und erweitert wurde, ist man nun wenigstens dieser Unsicherheit etwas enthoben, sie ist (noch?) nicht abgeschrieben. Inzwischen hat sich das Produktangebot unterhalb und neben der /38 vervielfältigt. Durch die /36 wird die Lücke zur /34 geschlossen. Der Einsatz von PCs ermöglicht die Lösung von Aufgaben, für die die /38 noch nicht geeignet ist, zum Beispiel CAD und Grafik. Daneben kann ein PC zum Sammeln und Verdichten von Daten für die /38 eingesetzt werden, zum Beispiel im Bereich Betriebsdatenerfassung.

Trotz dieser Erweiterungen steht die /38 immer noch konkurrenzlos da. Zentralpunkt der /38 ist das Konzept des Betriebssystems CPF, das Funktionen, die auf anderen Systemen durch Softwarepakete realisiert werden, (wie die integrierte Datenbank) bereits enthält. Dadurch ist die Benutzung des Systems recht einfach. Einen Datenbankadministrator benötigt man für die /38 nicht.

Zahlreiche Zusatzfunktionen unterstützen dieses Betriebssystem, die alle auf der Konzeption des Systems aufbauen. Sie benutzen beispielsweise die Datenbank. Genannt seien hier Query, DFU und der Editor. Vergleichbares an Konzepten und Komfort findet man auf Systemen dieser Größenordnung nicht; selbst bei Großsystemen ist dieser Komfort recht wenig vertreten.

Hemmnis bei der /38 war lange Zeit die für das Betriebssystem und die zum Teil extensiven Funktionen zu langsame Hardware. Dies hat sich in letzter Zeit verbessert, der Idealzustand ist sicher noch nicht erreicht. Hier ist unbedingt der Einsatz eines schnelleren Prozessors notwendig.

Konkurrenz von kleineren Systemen hat die /38 nicht, da diese, wie die /34 und /36, von anderen Konzeptionen ausgehen. So ist eine

1:1 -Umstellung von der /34 oder /36 zur /38 zwar möglich, das Ergebnis ist jedoch eine Abbildung der /34 oder /36 auf der /38, die keine der neuen Funktionen der /38 nutzt.

Problematisch ist auch, daß die Funktionen der /38 von der heute angebotenen Standardsoftware kaum genutzt werden. Wer DA-Dateien auf der /38 einsetzt, vergewaltigt das System.

Zusammenfassend kann man sagen, daß das Konzept der /38 ein Konzept mit Zukunft ist. Da dieses Konzept bisher nur auf der /38 realisiert wurde, steht sie noch konkurrenzlos da. Diese Konkurrenzlosigkeit ist aber keine Sackgasse, da Entwicklungen auf der /38 oder auf anderen Systemen möglich sind.

Klar sein muß sich der /38-Anwender jedoch darüber, daß man beim Einsatz der /38 alle vorhandenen Funktionen und Abläufe vergessen sollte und diese neu konzipieren muß um die Möglichkeiten der /38 voll auszunutzen. Ansonsten rudert man mit einem Hochseedampfer durch die DV-Welt.

Klaus Hüttenberger

Diebold Deutschland GmbH, Frankfurt

Bei einem Rückblick auf die System /38-Entwicklung läßt sich ein bewegter Werdegang aufzeichnen, gekennzeichnet durch viele Tiefs, die erst im Laufe der letzten eineinhalb Jahre mehr und mehr abgebaut wurden. Hier seien nur beispielhaft die Durchsatzprobleme der Zentraleinheit und die schwachen Recovery-Funktionen der integrierten Datenbank erwähnt.

Mit der Anfang 1984 durchgeführten Produktbereinigung (es werden nur noch die Modellvarianten S/34-4, -6 und -8 vermarktet), wird dem Anwender nun ein Produkt-Spektrum angeboten, das sich leistungsmäßig voll mit den Rechnern 4321 und 4331 überschneidet. Hinter vorgehaltener Hand wird - bei besonders wichtigen Kunden - bereits von einem Modell 10 gesprochen, welches das heutige System /38-Spektrum mit etwa MIPS Leistung nach oben abrunden soll.

Nach Insider-Informationen ist der Auftragseingang beim

S/38 in den letzten beiden Jahren rückläufig. Hintergrund dürfte dabei einmal das neue System /36 sein und zum anderen das bessere Preis/Leistungs-Verhältnis der neuen 4361. Berücksichtigt man desweiteren, daß in absehbarer Zeit die 4361 nach unten abgerundet werden soll und damit die heutigen 4321 und 4331 Modelle ablöst, so wird die Zurückhaltung der Anwender verständlich.

Mit der Programmiersprache RPG III befindet sich der Anwender in einer Sackgasse da kein anderer Hersteller diese Sprache anbietet und auch ein Übergang zur IBM 4300 damit auf große Probleme stößt.

In der Aufwärts-Kompatibilität liegt die wesentlichste Einschränkung, da es zwischen der /38 und der Rechner-Serie 4300 keinerlei Kompatibilität gibt. Das bedeutet für den Anwender mit stark wachsendem Datenvolumen, langfristig eine Umstellung vom Betriebssystem CPF auf DOS/VSE oder entsprechende Mitbewerber-Betriebssysteme vornehmen zu müssen.

Basierend auf diesen Fakten werden die derzeitigen IBM-Überlegungen verständlich, die darauf abzielen, langfristig dem Anwender den Einstieg in den Universalrechner-Markt durch ein relativ einfach zu handhabendes Betriebssystem zu erleichtern.

Als eine der denkbaren Varianten wird dabei über eine Zusammenführung der Betriebssysteme der /38, der 4300 und 8100 diskutiert. Dies würde für den Anwender bedeuten, daß er ohne größeren Umstellungsaufwand wachsen könnte.

Unter Zugrundelegung der Ist-Situation läßt sich zusammenfassend sagen: Das heutige System /38 ist als Standalone Rechner bei dialogorientierter Verarbeitung und abgrenzbarem Wachstum eine durchaus auch weiterhin interessante Alternative. Dies gilt in besonderem Maße für den erforderlichen Manpower-Aufwand bei CPF und DOS/ VSE (Relation im Durchschnitt 1:3) und die monatlich zu zahlenden Lizenzgebühren für die System-Software (bei DB/DC-Anwendungen Faktor 1:3 bis 1:4). Die Generalfrage "System /38 oder Rechner 4300 beziehungsweise vergleichbare Mitbewerberprodukte" kann nur in Abhängigkeit von der beim Anwender vorhandenen Systemumgebung beantwortet werden.

Walter Stahlschmidt

Leiter Org./IS, Astra Chemical GmbH, Wedel/Holstein.

Das System /38 stellt sich aus der Sicht des Benutzers als ein technisches Kabinettstückchen dar. Bislang gibt es auf dem Markt keine Maschine, bei der eine wie auch immer geartete Datenbank so tief in der Maschine implementiert wurde. Damit ist die /38 für die Anwendungsentwicklung das Beste zur Zeit verfügbare EDV-System überhaupt.

Neue Software kann mit geringerem Zeitaufwand erstellt werden als auf anderen DV-Systemen. Der Nachteil liegt für einige Benutzer bestimmt beim schlechten Durchsatz im Batch-Bereich. Aber auch hierbei liegt die /38 von im Trend, da Batch-Anwendungen immer weiter an Boden verlieren.

Auf der anderen Seite ist das System /38 vielleicht ein Opfer der neuen IBM-Vertriebsstrategie, die Bereiche BD und DV zu einer schlagkräftigen Mannschaft zu vereinen.

Die Groß-EDV-Anhänger schauen auf die /38 als" Spielzeug" herab. (Für die /38 gibt es nicht einmal eine richtige Programmiersprache, sondern

Exakt hier liegen auch die Gefahren für die Zukunft des Systems /38. Gelingt es dem IBM-Vertrieb nicht, sowohl die eigenen Leute als auch die Kunden von den unbestreitbaren Vorteilen der /38 zu überzeugen und eine bessere Einordnung des Leistungsstandards bei den Entscheidern zu verankern, wird die /38 wohl als Mitläufer überleben, aber nicht die Bedeutung eines strategischen Produktes erlangen.

Technisch gesehen ist die /38 mit Sicherheit noch nicht am Ende ihres Lebenszyklusses angekommen. Daraufhin deuten auch die Vorbereitungen auf neue Modellankündigungen, die Erweiterung in den Bereichen Hauptspeicher schneller Prozessor, Plattenkapazität, Datenfernverarbeitung und lokal anschließbare Bildschirme bringen.

Sollte die /38 innerhalb der IBM-Vertriebsstrategie nur ein Mitläuferprodukt werden, so ist hier ein weiteres Beispiel dafür gegeben, daß technischer Fortschritt nicht unbedingt mit großer Marktdurchdringung gleichzusetzen ist. Da IBM aber vor allem Stärke im Marketingbereich hat, dürfte es Big Blue wohl nicht schwerfallen, neben. "Oldies" auch ein technisch exzellentes Produkt entsprechend zu vermarkten.