IBM Projekt Titan

/370-178 kommt, FS verschoben

27.03.1975

MÜNCHEN - Marktuntersuchungen der IBM bei ihren Großkunden haben - so ist in Kreisen New Yorker Investment-Berater durchgesickert - ergeben, daß die Anwender keinen revolutionären IBM-Hardware-Wechsel wollen. IBM-Großkunden sind besorgt über die damit verbundenen Software-Umstellungen und wünschen einen Schutz Ihrer bisherigen Investitionen.

Die im Telex-Prozeß mit der Offenlegung der geheimen IBM-Management-Protokolle im Sommer 1973 bekanntgewordenen Pläne der IBM, Ende 1976 -spätestens 1977 - eine völlig andersartige Hardware-Generation (Code-Name FS oder Future System) auf den Markt zu bringen, seien - so führende Wall Street Financial Analysts - deshalb bis in die achtziger Jahre verschoben worden. Bekanntlich sollte die Einführung des Future System eine ähnliche revolutionierende Umstellung beim Anwender erforderlich machen wie der Übergang von den Systemen IBM 1400 auf die IBM-Serie 360. Über das FS-Betriebssystem "Q" hieß es, es handele sich um das ehrgeizigste Software-Projekt, das je unternommen wurde. Besondere Q-Merkmale: Programmierung für jedermann) der Umgangssprache, völlig unabhängig von jeder Sorge um physische Einheiten oder interne logische Abläufe. Ein weiterer Grund für die Verschiebung der FS-Q-Ankündigung ins nächste Jahrzehnt sollen erhebliche Verzögerungen beim Entwickeln dieser Software gewesen sein.

Die neue Strategie der IBM für den Rest der siebziger Jahre heißt jetzt angeblich: Evolutionäre Erweiterung der Möglichkeiten des Systems 370. Die Marktforschungs-lnstitute International Data Corporation, G. E. Saxton und Martin Simpson & Co. sehen übereinstimmend vorher, daß es zunächst die Ankündigung einer /370-178 geben wird, die die noch offene Lücke in der IBM-Produktpalette zwischen den 370 Modellen 168 und 195 füllen soll. Es wird vermutet, daß diese Maschine besonders preisgünstig angeboten wird, um gegen die in diesem Marktsegment erfolgreichen Jumbos von Honeywell (Serie 6000 alias 60/66) und CDC (Cyber-Modelle) konkurrieren zu können. Diese Niedrigpreis-Politik sei möglich, weil nahezu 80 Prozent der IBM-Großmaschinen (Modelle 155-168) von Kunden oder Leasing-Gesellschaften gekauft wurden - so daß mit nur sehr wenigen Rückläufern bei der Ankündigung preisgünstigerer IBM-Jumbos zu rechnen sei. Das System 370/178 führt bei IBM den Code-Namen "Titan ".

/380-125 und /380-135?

Bei der Beurteilung der weiteren Informationen der Wall Street-Auguren ist daran zu erinnern, daß bisher wohl alle wichtigen IBM-Schachzüge in diesen Kreisen frühzeitig bekannt wurden. Somit gewinnt auch die zunächst ohne zeitliche Festlegung geäußerte Vermutung Gewicht, daß anschließend an Titan etwa um das Dreifache schnellere Modelle der 370/125 und 370/135 auf den Markt kommen die möglicherweise unter dem Serien-Namen "System /380" angekündigt werden. Angesichts erwarteter drastischer Preissenkungen für Halbleiter-Hauptspeicher wird mit einer Abkehr vom virtuellen Speichermanagement gerechnet, das bei so niedrigen Realspeicherpreisen den hohen Systemaufwand nicht mehr rechtfertigen dürfte.

Wesentliche Merkmale der kommenden /380-Architektur und der /370-178 sollen Multiprozessoren sein (Analog zur Systemarchitektur der Honeywell- und Univac-Großsysteme) und - unter Aufgabe des bisherigen Kanal-Konzeptes -

eigenständige E/A-Prozessoren, die direkt mit dem Hauptspeicher kommunizieren und E/A-Ströme für zahlreiche Terminals mit weniger Systemunterbrechungen und Overhead simultan verwalten (analog zur System-Architektur der Burroughs 700, CDC-Cyber-Serie und Xerox Sigma).

Zahlreiche Supervisor-Funktionen (Resource-Switching, Storage Management, I/O-Supervision) sollen in die Hardware implementiert sein. Der /370-Befehlsvorrat dürfte um neue Instruktionen für DB/ DC-Anwendungen erweitert werden.

Es gehört zur IBM-Policy, zu derartigen "Gerüchten" grundsätzlich keine Stellungnahmen zu geben. Gerüchte sind auch viel interessanter.