Die Beraterbranche im Wandel durch die Digitalisierung

Digitale Disruption gilt auch für die Beraterbranche

23.05.2017
Von 
Mario Zillmann ist Leiter Professional Services bei Lünendonk und Experte in den Themen Management- und IT-Beratung sowie Outsourcing. Als Analyst und Berater beobachtet er seit sieben Jahren den ITK-Markt und betreut die seit Jahrzehnten als Marktbarometer geltenden Lünendonk-Listen und -Studien zu IT-Beratung und IT-Service, Business Intelligence, Standard Software, Business Innovation/Transformation Partner (BITP) und Technologie-Beratung.
Dass Digitalisierung die Geschäftsmodelle, Prozesse und auch die Unternehmenskultur verändert, ist weitgehend diskutiert. Aber was tun Management- und IT-Beratungen, um sich auf die Anforderungen ihrer Kundenunternehmen richtig einzustellen? Hier aus Sicht von Lünendonk einige der wichtigsten Veränderungen.

Die Herausforderungen für die Beraterbranche im Zuge der Digitalisierung sind in jedem Fall sehr groß. Themen wie agile Entwicklung und DevOps erfordern neue Prozesse und Zusammenarbeitsstrukturen innerhalb der Beratungsunternehmen. Immer mehr Kunden fordern auch von ihren Beratungspartnern, dass sie die Verantwortung für die Entwicklung von Innovationen und digitalen Geschäftsmodelle übernehmen und damit in die unternehmerische Mitverantwortung gehen. Letzteres Thema war lange Zeit eher für die großen Beratungs- und IT-Konzerne von Bedeutung, jedoch weniger für die mittelgroßen Dienstleister.

Im Zuge der Digitalisierung ändern sich auch die Anforderungen der Unternehmen an ihre Consultants.
Im Zuge der Digitalisierung ändern sich auch die Anforderungen der Unternehmen an ihre Consultants.
Foto: PureSolution - shutterstock.com

Aus diversen Studien und Gesprächen stellen wir fest, dass Kundenunternehmen derzeit vor allem folgende Anforderungen an ihre Beratungs- und Dienstleistungspartner stellen:

  • End-to-End-Beratungs- und Transformationsansatz, gegebenenfalls auch das damit verbundene Management der entsprechenden Subdienstleister;

  • Unterstützung beim Aufbau und Betrieb von Plattformen für IoT, Industrie 4.0, E-Commerce und Kundenkommunikation;

  • Kompetenz im Bereich Digital Customer Experience, also Prozessautomatisierung, Medienbruchfreie digitale Prozesse, Data Analytics und Frontend-Design;

  • ein hohes Maß an Agilität und Flexibilität;

  • Entwicklung und Aufbau von neuen Geschäftsmodellen und Services durch Innovationen - Operationalisierung von Digitalstrategien;

  • Kompetenz, um IT-Projekte mit hohem Business-Bezug gemeinsam mit den Fachbereichen der Kunden zu entwickeln.

Das Wettbewerbsumfeld verändert sich

Gleichzeitig zu den veränderten Kundenanforderungen hat sich für viele Beratungs- und IT-Dienstleister das Wettbewerbsumfeld verändert. So besetzten klassische Agenturen und neu aufkommende Digitalagenturen das Geschäft mit Frontends, Apps und Data Analytics, während die Big 4 der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften (Deloitte, EY, KPMG und PwC) ebenfalls massiv in das Beratungs- und Digitalgeschäft gedrängt haben – und das auch sehr erfolgreich.

Den Druck, Beratung, Entwicklung und Einführung End-to-End anbieten zu können, führte zunächst zu einer Konsolidierungswelle im Markt, bei denen die großen Beratungs- und IT-Konzerne, aber auch viele mittelgroße Dienstleister, auf einzelne Fachthemen oder Branchen spezialisierte Anbieter übernommen haben.

So hat zum Beispiel Accenture mit Fjörd, dgroup und Sinnerschrader eine Reihe an Digitalagenturen übernommen, und daraus eine große Digital Unit geformt. Deloitte ist mit Deloitte Digital einen ähnlichen Weg gegangen ebenso wie PwC.

IT-Beratungen wie Capgemini oder NTT Data haben sich mit auf Salesforce-Technologie spezialisierten Beratungshäusern verstärkt, um die hohe Zahl an Kundenanfragen in diesem Bereich begegnen zu können. Andere IT-Beratungen forcieren derzeit sehr stark das Thema Microsoft-Consulting, da die Kunden sich mit Azure und 365 sehr intensiv beschäftigen.

Insgesamt verspürt die IT-Beratungsbranche eine enorm hohe Nachfrage nach Implementierungsprojekten und Integrationsprojekten für die Anbindung von Systemen und Unternehmen auf digitale Plattformen. Diese Entwicklung der Übernahmen und Partnerschaften wird sich aus Sicht von Lünendonk weiter fortsetzen. Vor allem in den aktuellen Top-Themen „Plattformen“, „Data Analytics“ und „Künstliche Intelligence“ haben die meisten Beratungs- und IT-Dienstleister noch weiße Flecken.

Dienstleister können Kooperationen. Aber auch ihre Kunden?

Mittelgroße Beratungen, die in der Regel nicht über die Finanzstärke für Übernahmen und deren Integration verfügen, gehen häufig den Weg der Kooperation mit anderen Marktteilnehmern. So kooperieren beim Thema Industrie 4.0 beispielsweise die Managementberatung ROI mit dem IT-Dienstleister Freudenberg IT, um einen ganzheitlichen Ansatz aus Standortbestimmung, Konzeption und IT-Consulting, Integration und Hosting anbieten zu können, wo Kunden einen solchen End-to-End-Approach wünschen.

Andere Beratungs- und IT-Dienstleister gehen mit ihren Kunden Entwicklungspartnerschaften für digitale Geschäftsmodelle oder Plattformen ein. Die Dienstleister sind in solchen Fällen in der Regel für die Technologieentwicklung und -einführung verantwortlich und erhalten im Gegenzug eine transaktionsbasierte Vergütung. Solche Beispiele sind jedoch außerhalb der Branchen- und Telekommunikationsbranche noch eher selten. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Kunden Schwierigkeiten haben, ihre Digitalisierungsinitiativen so zu sortieren, dass man sie gebündelt in ein Joint Venture mit einem Dienstleistungspartner vergeben kann. Darüber hinaus stoßen solche Kooperationsplanungen sehr häufig an die Grenzen, die von den internen Legal- und Compliance-Bereichen vorgegeben sind.

Aus Lünendonk-Sicht verpassen die Kundenunternehmen durch ihre hohe Bürokratie, den komplexen internen Abstimmungsprozessen sowie einer gewissen Risikoscheu den Anschluss an das internationale Wettbewerbsumfeld. Nicht selten dauern selbst kleinere Digitalisierungsprojekte viele Monate, bis Ergebnisse wie eine neue Kundenschnittstelle/Frontend oder die Integration eines neuen Vertriebskanals vorliegen. So beobachten wir die etwas abstruse Situation, dass die Technologien für eine digitale Transformation in einer hohen Marktreife vorhanden sind, die Dienstleister große Fortschritte bei der Innovationsentwicklung gemacht haben, aber die Komplexität vieler Kunden bremst.

Berater sehen Data Analytics als disruptiven Faktor ihrer Branche

Ein Thema, welches den Beratungsmarkt derzeit sehr stark beschäftigt ist der Umgang mit Daten und ihre Nutzung in Kundenprojekten. Daten sind das neue Gold in der Beratung. Moderne Analytics-Software ersetzt in einigen Bereichen bereits manuelle Beraterleistungen, beispielsweise im Research und in der Datenanalyse. Die Kombination aus persönlichen Fähigkeiten des Beraters, seinen Soft Skills mit dem Einsatz moderner Analysetechnologien ist bereits heute ein wichtiger Erfolgsfaktor in vielen Kundenprojekten. In Zukunft wird sich dieser Trend noch weiter fortsetzen, denn immer mehr Kunden fordern von ihren Beratern digitale Beratungskomponenten wie Online-Assessments, softwarebasierte Echtzeit-Prozessanalysen bis hin zu Softwarelösungen für Geschäftsprozesse.

Diejenigen Beratungen, welche die besten Antworten auf die komplexen Fragen ihrer Kunden zur digitalen Transformation haben, werden den Wettbewerb gewinnen. Auch hier gehen die Big 4 der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften voran, da sie traditionell einen tiefen Einblick in die Daten ihrer Kunden haben.

Die Tatsache, dass immer mehr Kunden digitale und datenbasierte Geschäftsmodelle entwickeln und auch die Steuerung von Prozessen insgesamt massiv an Komplexität zunimmt, führt zwangsläufig dazu, dass sich die Beratungen noch stärker mit dem Thema Technologie auseinandersetzen müssen. Die Herausforderungen für ihre Kunden besteht nicht mehr darin, dass sich Geschäftsmodelle und Effizienzvorhaben aufgrund mangelnder Technologie nicht umsetzten ließen. Vielmehr stellen sie sich heute die Frage, wie man die verfügbaren Technologien so einsetzt, dass sie den größtmöglichen Nutzen entwickeln.

Neue, digitale Beratungsansätze gefordert

Diese Entwicklung ist zwangsläufig ein Treiber für das Beratungsgeschäft. Die Kunden benötigen Orientierung bei der Entwicklung neuer technologiebasierter Geschäftsmodelle, deren Umsetzung in den Unternehmensalltag sowie beim effizienten Betrieb der Lösungen. Daher fordern auch immer mehr Kunden von ihren Beratungsdienstleistern den Einsatz modernster Analysetechnologien, um die komplexen Zusammenhänge in ihren Märkten und dem Kaufverhalten ihrer Kunden verstehen und die richtigen Entscheidungen in kürzester Zeit treffen zu können. Die Komplexität der Strategieentwicklung und der Unternehmenssteuerung nimmt folglich stark zu und erfordert neue, digitale Beratungsansätze

Für die Beratungsbranche bedeutet diese Entwicklung, dass das Managen, Zusammenführen und Analysieren von unterschiedlichen Datenquellen immer wichtiger wird. Viele Beratungsgesellschaften haben bereits auf diese Entwicklung reagiert und datenbasierte Beratungsangebote entwickelt. So erwarten 93 Prozent der von Lünendonk in der Studie „Consulting 4.0 – mit Analytics ins digitale Zeitalter“ befragten Managementberater durch die Nutzung moderner Analysesoftware mindestens doppelt so schnell in der Analyse- und Umsetzungsphase zu sein, als es bisher der Fall ist. Immerhin 34 Prozent rechnen sogar mit einer Verdreifachung der Geschwindigkeit. Durch die Automatisierung der Datensammlung, -aufbereitung und -analyse ergeben sich folglich signifikante Produktivitätsschübe.

Wenn die Beratungen es schafften, diese in der Datensammlung und -analyse verborgenen Potenziale zu heben, können sie sich einen deutlichen Wettbewerbsvorteil erarbeiten. Einerseits erhalten Sie dadurch die Möglichkeit, noch fundiertere Analysen für ihre Kunden zu erstellen und andererseits können sie mehr Zeit für die wertschöpfenden Themen Strategieentwicklung und Umsetzung aufwenden.

Ein anderer Aspekt ist, dass immer mehr Kunden komplette Problemlösungen erwarten anstelle von klassischen Beratungsansätzen. Bereits über 70 Prozent der Managementberatungen sehen in Solutions, also digitale Beratungsprodukte“ ein wichtiges Wachstumsfeld. Einige Beratungsunternehmen verkaufen ihren Kunden bereits selbst entwickelte Softwarelösungen als lizenziertes Produkt. Dadurch haben sie für den Zeitraum der Nutzung wiederkehrende Erlöse, was in der projektgeschäftsdominierten Branche eine große Veränderung für die Geschäftsmodelle der Beratungen bedeutet.

Beratungen versprechen sich von dem Einsatz von Analytics-Tools eine Beschleuigung der Projektumsetzung. Gerade bei Digitalisierung sind die Faktoren "Daten" und "Geschwindigkeit" enorm wichtig.
Beratungen versprechen sich von dem Einsatz von Analytics-Tools eine Beschleuigung der Projektumsetzung. Gerade bei Digitalisierung sind die Faktoren "Daten" und "Geschwindigkeit" enorm wichtig.
Foto: Lünendonk-Studie "Consulting 4.0"

Entsprechend ist die Beraterbranche mehrheitlich der Überzeugung, dass sowohl digitale Beratungsangebote als auch die Nutzung von Softwaretools zur Erkennung von Zusammenhängen in Zukunft massiv als Differenzierungsfaktor gewinnen. Digitale Angebote stellen für die Beratungen aber nicht nur Chancen, sondern auch Herausforderungen dar. Der Aufbau von entsprechendem Know-how sowie die organisatorische Integration von Softwareentwicklern in ein Beratungsunternehmen ist für viele Beratungen Neuland. Gleichzeitig gibt es inzwischen aber eine Reihe von Beratungen, die in diesem Feld bereits sehr aktiv sind und einen gewissen Wettbewerbsvorteil aufgebaut haben.

In Zukunft werden Kunden ihre Beratungspartner stärker unter dem Aspekt auswählen, ob diese den Umgang mit Datenmassen beherrschen und in der Lage sind, digitale Lösungen in hoher Geschwindigkeit und Qualität zu entwickeln und einzuführen.
In Zukunft werden Kunden ihre Beratungspartner stärker unter dem Aspekt auswählen, ob diese den Umgang mit Datenmassen beherrschen und in der Lage sind, digitale Lösungen in hoher Geschwindigkeit und Qualität zu entwickeln und einzuführen.
Foto: Lünendonk-Studie "Consulting 4.0"

Auf dem Weg zu digitalen Beratungsangeboten haben Beratungs- und IT-Dienstleister aber auch eine Reihe an Herausforderungen zu bewältigen. So müssen sie in IT-Technologien investieren, Data Scientists und IT-Spezialisten rekrutieren und Kooperationen mit Technologieunternehmen eingehen. Ferner verändert sich auch die Art der Projektplanung und -umsetzung, so dass ein großer Change-Prozess in den Managementberatungen notwendig sein wird. (mb)