Europas größte IBM-Anlage steht in Aachen

3090-600 ermöglicht der RWTH elitäre Höhenflüge

31.03.1989

AACHEN - 100 Millionen Rechenoperationen pro Sekunde - kein Klacks für die Rheinisch-Westfälische Technisehe Hochschule Aachen (RWTH), die sich mit der Installation des leistungsstärksten Parallelrechners der IBM, einer 3090600S mit sechs Vektoreinrichtungen, ins europäische Uni-DV-Spitzenfeld gesetzt hat.

Die Anlage, die sich die RWTH ins Haus geholt hat, kann sich sehen lassen Die IBM 3090-600S mit ihren sechs Vektorfeatures weist 256 Megabyte Hauptspeicher, 512 Megabyte Erweiterungsspeicher und 50 Gigabyte Plattenspeicher auf. Die bereits vorhandene Non-IBM Terminalperipherie der RWTH wird über Telekommunikationsprodukte wie 374S, 7171 und 8232 angeschlossen. Als Betriebssystem ist VM/XA eingesetzt.

Die Anlage wird, so teilen die Aachener mit, ausschließlich zur Ausbildung der Studenten und zu Forschungszwecken eingesetzt; die Forschungsergebnisse sind öffentlich. Die Wissenschaftler verweisen bei d e r Frage nach aktuellen Forschungsaufgaben die eine solche Rechnerleistung notwendig machen, auf Projekte, die komplexe technische Vorgänge oder die Simulation von Abläufen in der Natur erforschen. So sei es mit normalerweise verfügbarer Rechnerleistung zwar möglich, die simulationsmäßige Nachbildung des Verhaltens eines Einspritztropfens in einem Verbrennungsraum darzustellen, nicht aber mehr, die Frage zu beantworten, was bei einem komplexen Verbrennungsmotor in einer Raketenstufe passiere.

Die RWTH Aachen arbeitet zur Zeit: an verschiedenen Simulationssvorgängen, für die die Leistung eines Supercomputers notwendig ist. Neben der Analyse von Verbrennungsvorgängen zählen das Fließverhalten von Materialien während einer Verformung, die Ausbreitung von Sikkerwasser unter einer Mülldeponie, die Wärmeverteilung bei Klimaanlagen, Belastungsvorgänge bei Getrieben und Turbinen oder auch das Verhalten von Flugkörpern im All zu den Problemen, die gelöst werden sollen.

Singulare Rechner, die die Operationen nacheinander durchführen, stoßen bei solchen Fragestellungen schnell an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. "Die 3090-600S besitzt sechs parallel laufende Prozessoren, die jeder mit einer Vektorfaclity ausgerüstet sind", erläutert ein Mitarbeiter des IBM-lnstitutes für Supercomputing und angewandte Mathematik (ISAM) in Heidelberg. Durch die parallele Verarbeitung sind andere Konzeptionen der Dateninfrastrukturen und vor allem der Berechnungsalgorithmen notwendig. Auch in diesem Bereich stehen noch umfangreiche Forschungsaufgaben an. Das Problem liegt bei der Entwicklung dieser Algorithmen darin, die Rechnerdurchläufe zu optimieren, also Wartezeiten, die auf Grund noch fehlender Daten bei Berechnungen auftreten können, zu minimieren.

Zur Lösung dieser Probleme rief die IBM im Oktober 1987 die Europäische Supercomputer-lnitiative (ESI) ins Leben, bei der Universitäten und Forschungsstätten - sogenannte Kompetenzzentren - gemeinsam mit der IBM Forschung auf dem Gebiet des Höchstleistungsrechnens betreiben sollen. Nach einer Information aus dem Hause IBM soll "Supercomputing" europaweit in den nächsten Jahren mit einem Kostenaufwand von rund 72 Millionen Mark gefördert werden.

Die RWTH ist die erste deutsche Forschungseinrichtung, die im Rahmen des abgeschlossenen Kooperationsvertrages an diesen Forschungsarbeiten teilnimmt. Von Aachen aus können jetzt internationale Projekte im Netzwerkverbund mit bereits bestehenden oder im Aufbau befindlichen Supercomputing-Forschungseinrichtungen durchgeführt werden. Sechs Kompetenzzentren sind vorgesehen und teilweise schon ausgerüstet.

Der Zweck der Übung liegt darin, daß die Forschungsstätten auf der Basis gleicher maschineller Ausrüstung ausführbare Programme und Daten austauschen können; der Erfahrungsaustausch als solcher findet im Rahmen von Tagungen und Konferenzen statt. Noch in der Diskussion allerdings befindet sich die Frage, wie das Verbindungsverfahren der einzelnen Teilnehmer ablaufen sollen - simples Anwählen dürfte Probleme des unberechtigten Eingriffes in die Kommunikation aufwerfen, heißt es aus Heidelberg. Eine Festlegung des Verfahrens wird aber noch für dieses Jahr erwartet. Fest steht, daß die Verbindung in Europa über 64-KBit-Leitung zwischen den Zentren und eine schnelle 2-Megabit-Leitung nach Cornell aufgebaut wird.

Für die RWTH Aachen geht die Aufnahme der ESI-Kooperation nach Worten des Rechenzentrumsverantwortlichen Professor Dieter Haupt einher mit einer gleichzeitigen Erneuerung des Versorgungssystems der Hochschule und zum Teil auch des Landes Nordrhein-Westfalen mit DV-Kapazität. Die verschiedenen Versorgungsebenen vom einzelnen Arbeitsplatz über Hochschule, Hochschulstandort, Region, Land und internationale Kooperation, die auch anderen Wissenschaftlern des Landes Zugriff gewähren, sind in verschiedene Netze eingebunden.

Da das Versorgungsgebiet eines Hochleistungsvektorrechners im Allgemeinen größer ist als eine Hochschule, werden Überhangkapazitäten als Gemeinschaftsanlagen aller Hochschulen eines Bundeslandes genutzt, erläutert Dieter Haupt. So dient der noch in diesem Jahr in den vollen Betrieb gehende Superrechner neben einem älteren System an der Ruhr-Universität Bochum und den für spezielle Forschungszwecke in der KfA Jülich stationierten Computern auch als weiterer Superrechner den nordrhein-westfälischen Universitäten.

*Horst-Joachim Hoffmann, Fachjournalist in München, ist freier Mitarbeiter der COMPUTERWOCHE