Der Fall hatte eine Menge Aufsehen erregt: Etwa ein Jahr lang hatte der Niederländische Arzt Ernst J. S. bis zu seiner Entlassung vor wenigen Tagen in einer Klinik in Heilbronn gearbeitet, obwohl in seiner Heimat schwerste Vorwürfe gegen den Neurologen erhoben werden. Neun Todesfälle wegen Falschdiagnosen werden ihm zur Last gelegt, darunter auch ein Selbstmord nach der Diagnose "Alzheimer". Außerdem sollen 13 Patienten als Folge seiner Fehldiagnosen ohne medizinische Notwendigkeit am Gehirn operiert worden sein.
Das Tragische daran: Der Mann hatte in den Niederlanden bereits 2006 seine Approbation zurückgegeben; dass brisante Vorwürfe gegen ihn im Raum stehen, hätte jeder potenzielle Arbeitgeber spätestens seit 2009 durch schlichtes Googeln feststellen können. Offenbar hat sich niemand die Mühe gemacht. Deshalb stellt sich grundsätzlich die Frage, wie und was Arbeitgeber über ihre zukünftigen Arbeitnehmer recherchieren sollten, dürfen, müssen.
Erlaubt ist nur jedem Zugängliches
Das Gesetz zum Arbeitnehmerdatenschutz, dass nach fast zwei Jahren Vorlauf Ende Januar im Bundestag verabschiedet werden soll, beschäftigt sich (auch) mit diesem Teil der Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die aktuelle Rechtslage zum Thema Social Media und Recruiting ist auf den ersten Blick überraschend. Unzählige Unternehmen nutzen Facebook mittlerweile ganz gezielt, um vor allem junge, technikaffine BewerberInnen zu finden. Und auch wer einen Job sucht, will bei Facebook & Co. gefunden und geliked werden, hübscht entsprechend die diversen Profile auf.
Aus diesem Umstand allerdings zu folgern, Arbeitgeber dürften sich hemmungslos ebenjene Profile der Bewerber ansehen, ist grundfalsch, wie Carsten Ulbricht, Rechtsanwalt bei Diem & Partner in Stuttgart betont. "Eine solche Recherche ist nur dann zulässig, wenn die Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen stammen, also zum Beispiel durch einfaches Googeln zu erlangen sind." Bei Facebook ist es nach Ansicht von Ulbricht fraglich, "ob man von öffentlich zugänglichen Daten sprechen kann, wenn diese Daten nur für angemeldete Nutzer des Netzwerks recherchierbar sind."
Auf der Grundlage der heutigen Rechtsprechung sei davon auszugehen, dass die Schutzinteressen der Betroffenen aufgrund der weit verbreiteten privat geprägten Nutzung von Facebook einer Recherche im Profil des Bewerbers entgegenstehen. Sollte der Bewerber in seinen Unterlagen allerdings selbst auf ein Netzwerkprofil hinweisen oder sonst wie sein ausdrückliches Einverständnis erklären, sieht die Sache anders aus.
- Tipps für Facebook, Twitter & Co.
Vielen fehlt noch das Gefühl dafür, was in sozialen Netzwerken angemessen ist und was nicht. Dabei gibt es ein paar einfache Regeln. - Du sollst nicht zu viel preisgeben
Auf Facebook und Co. erfährt man häufig mehr über das Privatleben von Freunden oder Bekannten, als man eigentlich wissen möchte. TMFI nennt Raphael das Phänomen "Too much Facebook Information". Das muss gar nicht unbedingt Peinliches aus dem Privatleben sein. Manche Nutzer überfrachten ihre Kontakte mit Posts, unter anderem Details über die tägliche Joggingrunde, Fotos vom Mittagessen oder zu viele Bilder vom Nachwuchs. - Du sollst soziale Netzwerke nicht für Predigten nutzen
Hin und wieder in sozialen Netzwerken seine Meinung zu sagen tut gut, das steht außer Frage. Doch wer ständig politische oder moralische Diskussionen anzetteln möchte, wird seinen Kontakten damit schnell auf die Nerven gehen. Deshalb sollte man eines beherzigen: Was Familie und Freunde von Angesicht zu Angesicht nicht besprechen möchten, wollen sie wahrscheinlich auch auf Facebook nicht ständig diskutieren - seien es Vorträge zu Obama, zu den Zuständen in Tierfabriken oder Religion. - Du sollst nicht ständig jammern
Noch schlimmer als die Prediger findet Raphael die Jammerlappen, die seiner Meinung nach Facebook und Twitter als Therapieersatz nutzen. Ab und zu mal über die Arbeit oder das Wetter zu klagen, ist ganz natürlich. Die Kontakte ständig mit Negativ-Posts zu befeuern, ist es nicht. - Du sollst nicht so tun, als wärst du Sport- oder Klatschreporter
Raphael ist reichlich genervt von Facebook-Kontakten, die der Meinung sind, sie müssten ihre Freunde mit den neusten Nachrichten versorgen. "1:0". "Elfmeterschießen" oder "Tom Cruise und Katie Holmes lassen sich scheiden" sind nur drei Beispiele für die Einträge von Möchtegern-Reportern, die ohne Meinung oder wenigstens einen persönlichen Kommentar gepostet werden. Denn, wie Raphael richtig sagt - wer das Spielergebnis wissen möchte, wird es sowieso verfolgen. - Du sollst dich nicht für einen Guru halten
Einige Facebook-Nutzer pflegen das Ritual, jeden Morgen ein Zitat zu veröffentlichen. Wenn Raphael jeden Morgen Einstein-Zitate lesen muss, inspiriert ihn das keineswegs. - Du sollst deine Follower-Obsessionen für dich behalten
Wer noch zehn, fünf oder drei Follower von einer bestimmten Marke entfernt ist, muss das nicht akribisch dokumentieren und das Erreichen der Zahl dann mit einem eigenen Beitrag à la "Hurra! Die 1000 sind geschafft!" kommentieren. Wer dann auch noch mit speziellen Tools bei der Zahl seiner Follower nachhilft, versucht nach Meinung von JR Raphael etwas zu kompensieren. - Du sollst dich nicht für einen Social Media-Experten halten
Die starke Verbreitung der sozialen Netzwerke bringt immer mehr Social Media-Experten zutage. Natürlich gibt es da auch einige, die wirklich gut Bescheid wissen. Viele tun dies aber nicht unbedingt. Der Möchtegern-Experte prahlt mit seinen überwältigenden Fähigkeiten im Social Media-Marketing, pflastert seine Einträge bei Twitter mit Hashtags, möchte dauernd den effektiven Einsatz von Social Media besprechen und will ständig Diskussionen anzetteln - denn auf das Engagement kommt es in den sozialen Netzwerken seiner Meinung nach an - Du sollst deine Accounts nicht auf Autopilot stellen
JR Raphael findet nur eine Sache noch anstrengender als nervige Kontakte in sozialen Netzwerken - wenn Nutzer ihre Statusmeldungen über automatisierte Systeme einfließen lassen. So kommt es zum Beispiel vor, dass Personen, die bei Twitter und Facebook aktiv sind, ihre Tweets automatisch auch bei Facebook veröffentlichen lassen. Ebenso unlieb sind Raphael automatische Updates darüber, welche Musik seine Kontakte gerade hören oder welche Spiele sie gespielt haben. - Du sollst nichts veröffentlichen, was nur du verstehst
Wow, ich kann nicht glauben, dass das gerade passiert ist!" Jeder hat wahrscheinlich schon einmal einen solchen Tweet in seiner Timeline gelesen. Solche Einträge kommen entweder von Personen, die soziale Netzwerke mit einem Tagebuch verwechseln oder von solchen, die um die Aufmerksamkeit anderer buhlen und auf möglichst viele Nachfragen hoffen. Statusupdates, die nur aus Andeutungen oder sinnfreien Sätzen bestehen, reihen sich für Raphael in die überflüssigen Facebook-Nachrichten ein. - Du sollst keine Fotos posten, die bei anderen Nutzern Fremdschämen verursachen
Wer vorhat ein Bild mit nacktem Oberkörper auf seiner Profilseite hochzuladen, sollte sich das ganz genau überlegen. Ebenso, wer ein Bild von sich besitzt, auf dem er dem Fotografen eine Kusshand zuwirft. Es gibt sicher auch andere Bilder. Da muss man nicht auf solche zurückgreifen die andere und später vielleicht auch einen selbst in Verlegenheit bringen.
Die Rechtslage ändert sich
Wenn das neue Gesetz - voraussichtlich im Sommer - in Kraft trifft, gibt es hier allerdings gewisse Änderungen. Zukünftig dürfen Daten über Bewerber dann - auch in sozialen Netzwerken - erhoben werden, wenn die Kenntnis dieser Daten erforderlich ist, um die Eignung des Beschäftigten für den von ihm anvisierten Job beurteilen zu können.
Und in diesem Fall ist mit Datenerhebung auch die Recherche in sozialen Netzwerken gemeint, soweit lediglich eine Mitgliedschaft, die jeder erlangen kann, Voraussetzung für den jeweiligen Datenabruf ist. Ein Festhalten entsprechender Informationen in Schriftform oder Speichern dieser Daten muss dem Bewerber mitgeteilt werden. Sind die Daten dagegen nur einem beschränkten Personenkreis zugänglich, zum Beispiel ausgewählten "Freunden", liegt eine allgemeine Zugänglichkeit nicht vor. Dem potenziellen Arbeitgeber ist dann die Recherche untersagt.
Rechtsanwalt Carsten Ulbricht hält erstens die Unterscheidung zwischen privat und geschäftlich genutztem Netzwerk für konstruiert, zweitens stelle sich die Frage, "welche notwendigen Eignungen aus Profilen in Netzwerken herausgelesen werden könnten, die der Bewerber nicht schon in seine Bewerbung hineingeschrieben hat." Natürlich recherchieren Personalchefs gelegentlich unrechtmäßig bei Facebook, und das Entdeckungsrisiko ist hier sehr gering. Allerdings sollten sich Führungskräfte dringend davor hüten, auf diesem Weg gewonnene Erkenntnisse dem Betreffenden gegenüber zu erwähnen - zum Beispiel bei einer Kündigung.
- Gartner-Tipps für Social Media
Die Kunst aber ist es, a) diese Kultur der Kommunikation zu fördern und b) die in ihr entstehenden Informationen herauszufiltern und in bestehende Business-Intelligence-Systeme zu integrieren. Zwölf Schritte gilt es laut Gartner für den CIO zu befolgen. - Aufmerksam schärfen:
IT und Business müssen sich bewusst werden, dass in den Informationen aus Sozialen Netzwerken ein Wert für das Business steckt. Das Sammeln und Interpretieren dieser Erkenntnisse - Social Analytics - muss darauf ausgerichtet sein, nach ihnen zu handeln. - Know-How ausbilden:
Ist das Wissen einmal da, sollte der CIO Entwicklungs-Pläne für wichtige Rollen in der Social-Media-Strategie gestalten. - Verständnis wecken:
Der CIO muss dem Business vermitteln, wie wichtig und hilfreich es ist, Menschen aus verschiedenen Abteilungen zu vernetzen und sie an Probleme zu setzen. - Vorleben:
Der CIO muss selbst in Sozialen Netzwerken aktiv sein - und dies auch kommunizieren. Nur wer diese Tools nutzt, kann sie auch glaubwürdig vertreten. Einmal die Woche sollte der IT-Chef mit den Kollegen, die am aktivsten sind in Sachen Social Media, Gedanken austauschen. - Loslegen:
Der CIO sollte sowohl Gruppen mit Leuten aus dem ganzen Unternehmen zusammenbringen als auch bestehende Gruppen an die Möglichkeiten heranführen, die in Social Media stecken. - Motivieren:
Mit Anreizen, und sei es öffentlicher Anerkennung, kann der CIO die Kollegen aus IT und den Fachabteilungen dazu bringen, selbst Social Media Projekte auf die Beine zu stellen. - Ziele stecken:
Social Media soll Business Value generieren, und deswegen auf Kern-Bereiche des Business zielen: Time to Market, Kundenbindung oder die Produktivität der Mitarbeiter. - Die IT-Governance überdenken:
Das Ziel muss das effektive und flexible Management von Informationen sein, nicht Kontrolle der Technologie. Das Auge der Security aber muss sich auf die neuen Technologien einstellen. - Social Media in die Architektur einbinden:
Dazu gehört, Tools und Prozesse zu gestalten, mit denen sich die Informationen zielführend verarbeiten lässt. Das Ziel ist, dass die Business-Entscheider nur die richtige Frage stellen müssen, um schnell Informationen für nachhaltige Entscheidungen zu bekommen. - Eine Strategie festlegen:
Sie sollte enthalten, wer die Adressaten und Teilnehmer der kollaborativen Kommunikation sind, wie weit das Engagement gehen soll - und wohin es das Unternehmen führen soll. - Zurückziehen:
Die IT sollte sich alsbald von der Kontrolle über die Social-Media-Ressourcen verabschieden und sich darauf konzentrieren, Verbindungen zwischen den Menschen herzustellen.
Verstöße können teuer werden
Noch gefährlicher ist es, solche Details in der Personalakte zu vermerken. Dann drohen nicht nur Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers, sondern unter Umständen sogar strafrechtliche Sanktionen, so Carsten Ulbricht. In der Praxis lautet seine Empfehlung an Personaler vor wie nach dem neuen Gesetz: Googeln ja, alles andere nur mit Einwilligung des Bewerbers oder auf Grundlage einer gesetzlichen Erlaubnis.
Im Falle des eingangs erwähnten Mediziners hätte diese Art der Datenerhebung ausgereicht, um gewarnt zu sein. Die Webseite der überregionalen Tageszeitung de Volkskrant hatte bereits 2009 hinlänglich über den Fall berichtet. Die wichtigsten Details des Artikels sind auch ohne niederländische Sprachkenntnisse zu verstehen.
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation CIO.de. (mhr)