2008 - Der große Jahresrückblick

08.12.2008
Von 
Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
Das Jahr 2008 war dramatisches Kino: Rasanter Aufschwung und deprimierende Krise wechselten einander ab. Für Hollywood fehlte nur das Happy End.

Nach den ersten 31 Tagen hätte der Schiedsrichter das Jahr 2008 eigentlich abpfeifen können, denn es keimte der Verdacht: Das wird nicht besser. Schließlich bot der Januar alles, was einen extrem spannenden Monat ausmacht - teure Übernahmen (Oracle kauft Bea Systems; Sun kauft MySQL), glamouröse Prominente (Bill Gates verabschiedet sich auf der Consumer Electronics Show), menschliche Abgründe (Nokia zieht von Bochum nach Rumänien; Crash der internationalen Börsen), hinterhältige Verräter (Blu-Ray: Warner fällt HD DVD in den Rücken; Hornbach und Hellmann fallen SAP in den Rücken) und natürlich jede Menge sexy Toys (Apple stellt das Macbook Air vor; Asus Eee PC kommt in Deutschland auf den Markt).

Allerdings wurde im Januar auch die Saat des (ökonomischen) Verderbens gelegt, dokumentiert in diesem CW-Artikel: "Fünf-Milliarden-Banker umgeht Software für das Risiko-Management". Um diese Schlagzeile im historischen Kontext einordnen zu können, sei darauf hingewiesen, dass fünf Milliarden Dollar vor einem Jahr noch richtig viel wert waren. Und dass die Meinung vorherrschte, Risiken mit Software managen zu können. Ein 31-jähriger Händler der französischen Großbank Société Générale hatte damals Handelspositionen von insgesamt etwa 50 Milliarden Euro aufgebaut und seine Aktionen vor dem Risiko-Management der Bank geheim gehalten. Manager des Finanzkonzerns behaupteten anschließend, dass sich der Händler in das Computersystem "gehackt" und die Kontrollmechanismen für seine Geschäfte aufgehoben hatte. Er wollte vermutlich seine durch die Börsenbaisse aufgelaufenen Verluste vertuschen.

Die Krise lauert immer und überall

Womit wir beim beherrschenden Thema 2008 wären: der Krise. Diese, anfänglich eine kostspielige Privatangelegenheit der Banken, weitete sich im Verlauf des Jahres zu einer Immobilien-, Medien- und Automobilbauer-Krise aus, bevor die im dritten Quartal zur Wirtschaftskrise (im Web: "Jahrhundertkrise") beförderte Tragödie dann in der offiziellen Bestätigung einer Rezession kumulierte. Von 100 auf null in einem Jahr - so viel zum Thema Nachhaltigkeit. Immerhin hat die Krise eindrücklich gezeigt, dass Globalisierung funktioniert, denn schließlich ist die gesamte industrialisierte Welt in ihren Strudel geraten.

Im Februar zeichnete sich dann auch folgerichtig ab, dass sich das hohe Tempo des ersten Monats nicht halten ließ: Microsoft kündigte die Übernahme von Yahoo an, Yahoo hingegen pokerte zu hoch. Es kam nicht zum Schwur, und die Transaktion zog sich über den gesamten Jahresverlauf hin, wobei sich die Vorzeichen veränderten: Als Yahoo musste, mochte Microsoft nicht mehr. Richtig genützt hat die bizarre Aktion niemandem. Auch die bereits 2007 eingeleitete Übernahme von 3Com durch Bain Capital und Huawei platzte 2008, angeblich aufgrund amerikanischer Vorbehalte bezüglich der nationalen Sicherheit.

Mehrere Monate in der Schwebe hing die Akquisition von Foundry Networks durch Brocade. Ursprünglich waren drei Milliarden Dollar geboten worden, parallel zur Kursentwicklung einigte man sich Monate später auf 2,6 Milliarden Dollar. Bis Redaktionsschluss hatten Foundry-Aktionäre nicht entschieden, ob sie der abgespeckten Offerte zustimmen. Eine Nummer kleiner (346 Millionen Dollar) war die geplante Übernahme von i2 Technologies durch JDA. Auch hier kam es aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu einer Hängepartie, die nun entschieden ist: Für einen Zusammenschluss reicht das Geld nicht aus. Auch im oberen Softwaresektor war die Konsolidierung kein Thema: Weder SAP noch Tibco, Adobe, Symantec, CA, Software AG, IDS Scheer oder Open Text wurden geschluckt.

Hewlett-Packard kauft und feuert

Einziger Mega-Deal des Jahres neben Oracle/ Bea war daher die im Mai verkündete Übernahme von EDS durch Hewlett-Packard (HP). Knapp 14 Milliarden Dollar kostete HPs Coup, um zu IBM aufzuschließen - der größte Deal der Kalifornier seit dem Kauf von Compaq. Die Einsparungen: Rund 25 000 Mitarbeiter werden in drei Jahren nicht mehr an Bord sein, kündigte der Konzern (noch vor der "Jahrhundertkrise") an; von 4200 deutschen EDS-Mitarbeitern müssen in den kommenden zwei Jahren 1150 gehen, HP Deutschland streicht bei sich 250 Stellen. Dennoch kann der Konzern mit dem Jahr 2008 zufrieden sein: Mit einem starken PC-Geschäft und guten Quartalszahlen hat sich HP erfolgreich gegen den Abschwung gestemmt. Und trotz des Rückgangs der Server-Umsätze im dritten Quartal konnte HP seinen Marktanteil auf Kosten der Konkurrenz ausbauen.

Das IT-Orakel des Jahres

Nicholas Carr hat einmal mehr die IT-Branche in Aufruhr versetzt. In seinem jüngsten Werk "The Big Switch: Rewiring the World, from Edison to Google", das Anfang 2008 vorgestellt wurde, kündigte er das baldige Ableben der internen IT-Abteilungen an. In Zukunft könne die firmeninterne IT von wenigen Personen gesteuert werden. Die IT-Versorgung würden Dienstleister mit großen Rechenzentren übernehmen, die viel wirtschaftlicher arbeiten könnten. Damit werde die IT-Abteilung überflüssig, lautet Carrs Fazit. IT-Fachleute seien ohnehin nur noch Commodity, genau wie Rechner-, Speicher- und Netzsysteme.

Die Milliarden-Deals des Jahres

  • Mit der Übernahme von EDS landete Hewlett-Packard den Deal des Jahres. 13,9 Milliarden Dollar ließ sich der Konzern die Übernahme des Servicespezialisten kosten. Mit dem Zukauf rückte HP nach IBM zum zweitgrößten IT-Service-Provider auf. Die Verantwortlichen hoffen, in der EDS-Klientel neue Kunden für das HP-Portfolio zu finden.

  • Nach einem monatelangen Katz-und-Maus-Spiel kam Oracle Anfang 2008 doch noch zum Zug und brachte die Übernahme von Bea Systems unter Dach und Fach. Ausschlaggebend dürfte gewesen sein, dass Oracle-Chef Lawrence Ellison tiefer in seine Tasche griff: 8,5 statt 6,7 Milliarden Dollar.

  • Die Deutsche Telekom stieg im Sommer für 2,5 Milliarden Euro bei dem griechischen Telekom-Anbieter Hellenic Telecom ein und will trotz Widerständen weitere Anteile übernehmen.

  • Freenet hat Anfang Juli die 1,6 Milliarden Euro teure Übernahme des Konkurrenten Debitel abgeschlossen. Damit stieg der Provider mit 19 Millionen Kunden zum drittgrößten Mobilfunkanbieter in Deutschland hinter T-Mobile und Vodafone auf.

  • Jahrelang hat Google den übermächtigen Konkurrenten Microsoft in Sachen Suchtechnik vorgeführt. Im Januar platzte dem weltgrößten Softwarehersteller dann der Kragen. Der Konzern kündigte für 1,2 Milliarden Dollar die Übernahme des norwegischen Suchmaschinen-Spezialisten Fast Search & Transfer an.

  • Sun Microsystems schnappte sich Anfang 2008 für rund eine Milliarde Dollar die quelloffene Datenbank "MySQL". Der angeschlagene Server-Hersteller wollte damit seine Softwaregeschäfte in Schwung bringen. Geholfen hat es wenig: Sun rutschte im Laufe des Jahres immer tiefer in die roten Zahlen.

Zu den Unternehmen und ihren Anteilseignern, die nicht unbeschadet durch das Jahr gekommen sind, zählen ehemalige Überflieger wie beispielsweise VMware. Deren Aktienkurs 2008 erinnerte an eine Bergetappe der Tour de France, nur verkehrt herum gefahren: Zwischen 85 und 17 Dollar je Aktie war alles drin. Sun Microsystems fiel von 17 auf drei Dollar, Google von 685 auf 250 Dollar. Auch Google hat Sparmaßnahmen eingeleitet, was tatsächlich auf eine schlimme Krise schließen ließ. Blackberry-Hersteller RIM schrumpfte in sechs Monaten von 148 auf 35 Dollar, die Kurse von Microsoft und Intel halbierten sich zwischenzeitlich, und selbst bei IBM kam es zum Absturz, wenn auch ähnlich wie bei Oracle erst im Oktober. Und die erfolgsverwöhnten Inder mit ihren Outsourcing-Konzernen? Abwärts!

Scheiden tut weh - oder auch nicht

Mit Bill Gates hat eine Gallionsfigur der IT-Branche ihren Rücktritt angekündigt. Kaum ein anderer hat die weltweite IT-Szene über Jahrzehnte so beeinflusst, aber auch gespalten wie der Microsoft-Gründer. Der Multimilliardär hatte am 27. Juni seinen letzten Arbeitstag in Redmond. Gates will sich künftig gemeinsam mit seiner Frau Melinda vor allem um seine Stiftungen kümmern.

Wachablösung bei SAP: Léo Apotheker wurde im April neben Henning Kagermann zum Co-Chef von SAP ernannt. Kagermann, der seit 2003 als alleiniger Vorstandssprecher die Geschicke des größten deutschen Softwarekonzerns geleitet hatte, wird SAP Ende Mai 2009 verlassen. Neben Kagermann wird auch der langjährige SAP-Vorstand Claus Heinrich (Foto) nächstes Jahr seinen Abschied nehmen.

Nach langen Querelen hat Wolfgang Ziebart (Foto), Vorstandschef von Infineon, die Konsequenzen gezogen und zum 1. Juni seinen Posten geräumt. Es gebe unterschiedliche Positionen über die weitere Ausrichtung des Unternehmens, hieß es. Ziebart leitete den Chiphersteller seit 2004. Sein Vertrag sollte ursprünglich bis 2009 laufen. Infineon musste 2008 hohe Verluste verbuchen.

Angesichts schlechter Quartalsergebnisse rollten bei Alcatel-Lucent Köpfe: Patricia Russo (Foto) und Serge Tchuruk, die 2006 die Fusion der Netzausrüster eingefädelt hatten, mussten ihre Chefsessel räumen.

Im Juni trat Arun Sarin nach fünf Jahren Amtszeit als CEO von Vodafone ab. Der Manager verließ seinen Arbeitgeber zu einem Zeitpunkt, als es dem Telco-Riesen gut ging, und beherzigte damit eine alte Sportler- und Manager-Weisheit: Am besten aufhören, wenn es am schönsten ist.

Nach dem Verkauf des Siemens-Anteils von FSC an Fujitsu ist FSC-Chef Bernd Bischoff (Foto) zurückgetreten - aus persönlichen Gründen, wie es hieß. Angeblich vertrug er sich nicht mit Siemens-Chef Peter Löscher.

Nach dem Ärger rund um die geplatzte Übernahme von Yahoo durch Microsoft und die danach folgende wirtschaftliche Talfahrt hat Yahoo-Gründer und -Lenker Jerry Yang die Konsequenzen gezogen und im November seinen Posten als CEO geräumt.

John Thompson (Foto), seit zehn Jahren CEO von Symantec, hat überraschend seinen Abschied angekündigt. Ihm werden Ambitionen auf einen Regierungsposten unter dem designierten US-Präsidenten Barack Obama nachgesagt.

Deutsche Pleiten: Maxdata und FSC

Hierzulande war das IT-Jahr von einigem Licht, aber auch von dunklen Schatten geprägt. Letzteres galt speziell für die Hardwareszene, in der Maxdata und Fujitsu-Siemens Computers (FSC) die Schlagzeilen dominierten. Maxdata meldete im Juni Insolvenz an, für viele Partner kam der Schritt nicht überraschend. Sie kreideten dem Management schwere Fehler und Versäumnisse an. Auch bei FSC lässt sich nicht leugnen, dass in der Vergangenheit oft die Weichen falsch gestellt wurden. So war schon seit Jahren zu beobachten, wie der einstige PC-Marktführer in Deutschland an Boden verlor. Das Trendthema Netbooks haben die FSCler fast verschlafen.

Anfang November wurden dann die Gerüchte bestätigt, dass Siemens seinen Anteil am Joint Venture an den Partner Fujitsu verkauft. 450 Millionen Euro wechselten den Besitzer, FSC-Chef Bernd Bischoff musste gehen. Was Fujitsu mit dem Kauf anfängt und welche Teile gehalten (oder etwa an Lenovo verkauft) werden, ist nicht klar. Ende November wurden erst einmal 700 der rund 6000 Stellen in Deutschland gestrichen.

Die deutsche Premium-Softwareszene konnte sich dem allgemeinen Abwärtstrend ebenfalls nur schwer entziehen. IDS Scheer feuerte seinen CEO Thomas Volk im September nach nur zwei Jahren und ersetzte ihn durch das Aufsichtsratsmitglied Peter Gérard. Zuvor war nach mäßigen Zahlen ein Konzernumbau eingeleitet worden. Im Herbst verschlechterte sich die Situation, für das Abschlussquartal wurde ein Umsatzminus befürchtet und ein weiterer Stellenabbau geprüft. Immerhin konnte Mitgründer August-Wilhelm Scheer die rasante Talfahrt der Aktien aufhalten, indem er Anfang November öffentlich über eine Übernahme des Unternehmens philosophierte: "Es geht um mein Lebenswerk." Bislang war es immer um Unabhängigkeit gegangen, aber schwierige Zeiten erfordern bekanntlich besondere Lösungen, auch wenn es sich nur um eine Loslösung handelt.

Die Software AG konnte immerhin noch ein gutes drittes Quartal verbuchen. Für das Gesamtjahr waren die Darmstädter dann indes ebenfalls pessimistisch gestimmt. Anfang des Jahres hatte Firmenchef Karl-Heinz Streibich noch die Devise wiederholt, die Umsatzmilliarde zu schaffen: "Wir gehen davon aus, dass wir dieses Ziel nicht erst 2011, sondern schon früher erreichen." Und auch im Juni war der Manager nicht von den ambitionierten Plänen für 2008 abgerückt: "Trotz aller dunkler Wolken am großen Konjunkturhimmel werden wir unsere Prognosen halten." Angesichts der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hat sich das Unternehmen aber immer noch achtbar aus der Affäre gezogen.

SAP - schlechtes Timing in der Krise

Dies gilt zumindest in finanzieller Hinsicht auch für SAP. Und zumindest bis Mitte Oktober. Bis dahin hatte sich der Konzern gut behauptet, dann folgten eine Gewinnwarnung und Sparappelle an die Belegschaft, die von einer gewissen Hilflosigkeit zeugten - Urlaub spenden, Einstellungsstopp, Economy-Tickets, keine Weihnachtskalender mehr. Seitdem notiert die Aktie wieder auf dem Niveau von 2003. Zudem hat es SAP geschafft, die Bestandskunden des deutschen Mittelstands gegen sich aufzubringen. Ihnen wurde nämlich eine Erhöhung der Wartungsgebühren von 17 auf 22 Prozent präsentiert mit schrittweisen Steigerungen über vier Jahre. Unter dem Strich wachsen die Wartungsgebühren damit um 29 Prozent. Und den neuen Enterprise Support lehnen viele Kunden ab, weil er ihnen keine Vorteile bringt und man in Asien anrufen muss, um geschäftskritische Probleme zu besprechen.

Die Flops des Jahres

  • Gleich zu Beginn des Jahres platzte im Pott die Bombe: Nokia gab bekannt, sein Werk in Bochum dicht zu machen und 2300 Beschäftigte auf die Straße zu setzen. Die Fertigung sollte nach Rumänien verlagert werden. Der Volkszorn kochte hoch, Politiker gaben medienwirksam ihre Nokia-Handys zurück. Gestritten wurde über den Sozialplan und die Frage, ob die Finnen zu Unrecht Subventionen kassiert hatten. Geholfen hat das alles nichts. Das Werk wurde geschlossen, die Mitarbeiter bekamen eine Abfindung und Nokia die Quittung: Die Marktanteile des Handy-Herstellers in Deutschland gingen überdurchschnittlich zurück.

  • Nach 39 Jahren kam 2008 das Ende für die Systems. Die Messe München zog einen Schlussstrich unter die dienstälteste IT-Messe Deutschlands. Zur Jahrtausendwende sollte sie die CeBIT das Fürchten lehren, verlor aber seitdem kontinuierlich an Ausstellern und Besuchern. Im kommenden Jahr soll die reine B-to-B-Veranstaltung "Discuss & Discover" die Lücke schließen.

  • SAP Enterprise Support: SAP hat es im vergangenen Jahr geschafft, seine Kunden gewaltig vor den Kopf zu stoßen. Nachdem zunächst im Frühjahr die Supportgebühren für Neukunden von 17 auf 22 Prozent angehoben wurden, kamen im Sommer die Bestandskunden an die Reihe. Doch viele SAP-Kunden wollen sich die stufenweise Erhöhung der Wartungskosten nicht gefallen lassen und gingen auf die Barrikaden. Sie kündigten an, die neuen Verträge nicht zu unterschreiben und es auf eine Konfrontation mit dem Softwareriesen ankommen zu lassen. Anfang Dezember knickte SAP ein und nahm die Kündigung zurück.

Interessant ist eine der offiziell genannten Begründungen für das Zwangs-Upgrade: Die Anforderungen der Anwender an den Support ihrer immer komplexer werdenden ERP-Landschaft würden sich mit der Standardwartung nicht mehr befriedigen lassen. Dass SAP selbst die Einführung ihrer neuen Produkte stets mit dem Versprechen von sinkender Komplexität und Lifecycle-Kosten beworben hat, lässt auf einen gesunden Zynismus im Walldorfer Vertrieb schließen - erst machen wir alles kaputt, dann kassieren wir für den Wiederaufbau. Dass die Großkunden von der Steigerung (vorerst) ausgenommen sind, kam nicht gut an im Mittelstand. Zudem ritt CEO Henning Kagermann im ersten Halbjahr 2008 mehrmals gegenüber Investoren auf der Aussage herum, dass eine operative Marge von 35 Prozent in den nächsten Jahren erreichbar sei. Für SAP natürlich, nicht für die Anwender.

Gegen Ende des Jahres formierte sich dann auch der Widerstand der Kunden in Deutschland, der Basis des langjährigen SAP-Erfolgs. Allein die Tatsache, dass Dutzende CIOs im Namen ihrer Unternehmen öffentlich Front gegen die SAP-Pläne machten, zeigt die Tiefe des Spalts, der sich zwischen dem Lieferanten und seinen Abnehmern aufgetan hat. Und selbst die eigentlich herstellertreue Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe (DSAG) begehrte auf und drohte, die SAP-Wartung kartellrechtlich prüfen zu lassen. Fazit: Bei der Gratwanderung zwischen Investoren und Kunden hat sich SAP 2008 für eine Seite entschieden. Da hilft es wenig, dass auch Oracle Mitte des Jahres die Lizenzpreise angehoben und damit auch das eigene Wartungsgeschäft vorangetrieben hat. Kleiner Tipp für Kunden: SAP bietet auch einen Finanzierungs-Service für Unternehmen, die "IT-Budgets problemlos planen und steuern" wollen. Und allein der Solution Manager rechtfertige den Aufschlag, argumentierte SAPs designierter Allein-CEO Léo Apotheker.

Telekom - Spitzel und Datenlecks

Doch auch hierzulande gab es Lichtblicke, selbst für gebeutelte Aktionäre. Dafür verantwortlich war diesmal die Deutsche Telekom, deren Management jahrelang dafür gerügt worden war, dass sich der Aktienkurs nicht bewege. Und tatsächlich: Seit März 2008 hat sich das Papier der Telekom kaum bewegt, während die meisten anderen Dax-Werte am Carrier vorbei in die Tiefe rauschten. Dies war umso überraschender, als die Telekom ihre Probleme im Festnetz (Stichwort: Flucht) noch nicht in den Griff bekommen hat und das Wachstum in anderen Segmenten längst an seine Grenzen gestoßen ist.

Schwarzes Jahr für die Deutsche Telekom

Im Mai kam heraus, dass die Deutsche Telekom mehr als ein Jahr lang eigene Manager, Aufsichtsräte und Journalisten bespitzelt hat, um undichte Stellen im Unternehmen aufzuspüren. Dazu seien Verbindungsdaten unter anderem von DGB-Chef Michael Sommer und Verdi-Chef Frank Bsirske ausgewertet worden. Mehr als 60 Personen seien von der Spitzelaffäre betroffen, ermittelte die Staatsanwaltschaft.

Im September kündigte der Konzern an, Call-Center in 39 Städten aufzugeben. Der Umbau sei unsozial und unsinnig, kritisierten die Gewerkschaften - der Transformationsprozess notwendig, konterte die Unternehmensführung. Nach wochenlangen Streitereien einigte man sich auf einen Sozialplan und die Schließung von 30 Standorten.

Der Oktober war der schwärzeste Monat des Jahres für die Deutsche Telekom: Zuerst kam heraus, dass in den Call-Centern und T-Punkten bis zu 25 000 Menschen Zugriff auf Kundeninformationen gehabt haben. Dann musste der Konzern zugeben, dass bereits im Jahr 2006 Datendiebe bei der Telekom-Tochter T-Mobile Informationen zu 17 Millionen Kunden gestohlen hatten. Telekom-Chef René Obermann (Foto) musste sich öffentlich für das Datenklau-Debakel entschuldigen. Zuletzt waren die Daten von rund 30 Millionen Handy-Kunden samt Bankverbindung mit relativ einfachem Aufwand einsehbar.

Zudem sorgte die Telekom im Laufe des Jahres mit immer neuen Enthüllungen zum Thema Datenschutz für Erregung. Mal waren 17 Millionen Datensätze geklaut worden, dann wurde die Bespitzelung von Aufsichtsräten, Mitarbeitern, Betriebsräten und Journalisten-Kindern bekannt, schließlich tauchten Kundendaten bei obskuren Drückerkolonnen von Wettbewerbern auf. Das T-Management hielt sich bedeckt, gab sich dann aber betont aufklärungswillig und berief mit Manfred Balz einen neuen Vorstand für Datenschutz, Recht und Compliance. Die Berufung erlaubt es immerhin, bei derartigen Vorwürfen in Zukunft elegant einen Blitzableiter präsentieren zu können. Verwunderlich ist nur, dass es den Call-Centern der Bonner in der Regel selbst nicht gelingt, bei Anrufen auf die aktuellen Kundendaten zuzugreifen ("Das ist Sache von T-Home, rufen Sie da an").

Sieger des Jahres 2008 im heimischen IT-Mittelstand war Intershop, das sich der Pleite stur verweigert hat. Trotz diverser Veränderungen im Management und Aufsichtsrat, neuer Anteilseigner und strategischer Wirrungen bilanzierte das Unternehmen erstmals in seiner Geschichte ein positives operatives Ergebnis nach neun Monaten des Geschäftsjahres. Zudem wurde noch im November gegen den allgemeinen Abwärtstrend die Jahresprognose bestätigt, wonach ein "signifikanter Gewinn" ausgewiesen werden soll.

Apple-Coup: Springer steigt um

Gute Signale empfing die zweite Generation 3G des Apple iPhone. Diese und weitere Verbesserungen sowie ein Krisenrabatt sorgten für eine mächtig große Nachfrage nach dem - darf man es überhaupt noch so nennen - Handy. Zudem gelang Apple ein Scoop, nämlich die Präsentation des Axel Springer Verlags als Referenzanwender. Dessen scheidender CIO Thomas Tribius (er geht zur Otto Gruppe) sagte gegenüber der CW den denkwürdigen Satz: "Wir beschäftigen uns im gesamten Haus schon seit längerem mit der Frage, wie wir das kreative Potenzial und die Freude an der Arbeit bei den Mitarbeitern informationstechnisch unterstützen können." 12 000 Arbeitsplätze werden nun auf Macs umgestellt, die Blackberries gegen iPhones ausgetauscht.

Auch von Google gab es 2008 Neuigkeiten, etwa die Markteinführung des Handys "G1" auf Basis des Android-Betriebssystems. Gebaut wird es von HTC, vermarktet von T-Mobile. Zumindest wurde es nicht von Beginn an verrissen, was auf ein passables Modell schließen lässt. Außerdem brachte Google einen eigenen Browser auf den Markt - "Chrome". Auch dieser war nicht schlecht, doch lieferte er kaum Argumente für einen Umzug von einer der bekannten Browser-Plattformen.

Microsoft hingegen stellte mit "Windows 7" und "Azure" neue Betriebssysteme vor. Ersteres ist für PCs gedacht und soll die Vista-Schlappe vergessen machen. Auch 2008 konnte sich der XP-Nachfolger nicht etablieren, weshalb Microsoft vorzeitig Plan B einleitete und die Gerüchteküche um Windows 7 anheizte. Mit Erfolg, denn über Vista wird kaum noch ein Wort verloren. Azure hingegen ist ein Betriebssystem für das Web beziehungsweise eine Plattform für das Cloud Computing. Der Vorteil: Es muss nicht auf eigenen Rechnern installiert werden, sondern läuft in Rechenzentren von Microsoft.

Deals - geplatzt, abgeblasen und vertagt

  • Es hätte der Deal des Jahres, wenn nicht des Jahrzehnts werden können. Doch Yahoo hat zu hoch gepokert: Anfang 2008 lehnten die Verantwortlichen des Internet-Pioniers ein Gebot von Microsoft in Höhe von sage und schreibe 44,6 Milliarden Dollar als zu gering ab. In der Folge geriet die Company mehr und mehr ins Schlingern.

  • Samsung wollte im September seine Stellung im wichtigen Flash-Speichergeschäft ausbauen und Sandisk für 5,8 Milliarden Dollar übernehmen. Doch der Konkurrent zierte sich und wies das Gebot als unzureichend zurück. Einen Monat später gaben die Koreaner auf. Sandisk sei die gebotene Summe nicht mehr wert, hieß es.

  • Im Juli hatte Brocade angekündigt, den Konkurrenten Foundry Networks für knapp drei Milliarden Dollar schlucken zu wollen. Allerdings haben die Anteilseigner von Foundry offenbar Bedenken und den Deal bis dato nicht abgesegnet.

  • Im Sommer wollte France Telecom mit der Übernahme des skandinavischen Netzanbieters TeliaSonera einen großen Coup landen. Doch der auf 26,8 Milliarden Euro taxierte Deal scheiterte. Man habe sich nicht über den Preis einigen können, hieß es.

  • An der Finanzierung gescheitert ist die Übernahme von i2 durch JDA Software. Im August war JDA noch davon ausgegangen, 450 Millionen Dollar von der Credit Suisse Group und Wachovia zu erhalten. Anfang November hieß es dann, man brauche mehr Zeit, doch schlussendlich brach der ganze Finanzierungsplan in sich zusammen.

  • Cadence Design Systems musste im August seine Pläne begraben, Mentor Graphics für 1,5 Milliarden Dollar zu schlucken. Man habe die Geldgeber nicht von den Synergien überzeugen können, lautete die Begründung.

Trend des Jahres: Cloud Computing

Cloud Computing war überhaupt einer der großen Trends des Jahres. Da die Wolke des Internets allgegenwärtig ist, fällt auch eine Abgrenzung zu anderen Schlagwörtern schwer - Software as a Service (SaaS) und Grid Computing sind Beispiele. Cloud bedeutet in erster Linie, dass IT-Aufgaben nicht mehr im Keller ("on Premise"), sondern irgendwo in den unendlichen Weiten des Netzes gelöst werden. Meistens sind dort die Keller größer, tiefer und vollgestellter, was wiederum die Preise für die Rechenarbeit flexibler, angemessener und kleiner machen soll. So sieht zumindest der mittelfristige Plan aus, der 2008 den Kunden vorgelegt wurde. Künftig gibt es auch Microsofts Office-Paket aus der (auf Azure basierenden) Cloud, Speicherplatz von Amazon und diverse Anwendungen etwa von Google.

Die Musik spielte 2008 in der Hardware - am oberen und am unteren Ende der Leistungsskala. Oben machten die Supercomputer Roadrunner (IBM) und Jaguar (Cray) erfolgreich Jagd auf die Petaflops-Schwelle. Der Jaguar schaffte 1059 Billionen Rechenschritten pro Sekunde, der Roadrunner verteidigte seinen 2008 eroberten Spitzenplatz knapp mit 1105 Teraflops. Beide Computer sollen rund 100 000-Mal schneller als ein durchschnittlicher PC sein. Unten in der Hardwareskala machten die Verbraucher Jagd auf Netbooks. Die Verkaufszahlen waren gewaltig, denn die Geräte wurden als billige Zweit- und Drittrechner für alle Gelegenheiten angepriesen.

Tage der internen IT gezählt?

Beinahe gelöst wurde 2008 noch kurzerhand das Problem des Fachkräftemangels, denn zum Jahresende haben einige Unternehmen dem Arbeitsmarkt neue Ressourcen zur Verfügung gestellt. Natürlich werden sich Arbeitgeber auch im Jahr 2009 schwertun, den kosmopolitischen Ingenieur mit MBA für ein Dauerpraktikum in Harsewinkel zu begeistern. Aber was wäre das Leben eines Managers ohne Herausforderungen? Daher sei zumindest erwähnt, das Nicholas Carr wieder ein Traktat an die Tür eines Rechenzentrums genagelt hat. Sein Tenor: Die Tage der internen IT sind gezählt. Recht hat er. Und im kommenden Jahr lesen Sie hier eine Artikelserie, wie Sie Ihre globalen Lieferketten Cloud-übergreifend mit Leitz-Ordnern, alten Lochkarten und Post-its modellieren. (ba)

Verlierer des Jahres - der Datenschutz

Schreck in der Vorweihnachtszeit: Datenhehler haben Informationen zu Bankverbindungen von rund 21 Millionen Bundesbürgern feilgeboten. Im schlimmsten Fall könnte Geld von Girokonten abgebucht werden, ohne dass der Inhaber jemals eine Einzugsermächtigung erteilt hat. Innenminister Wolfgang Schäuble kündigte an, den Kampf gegen die Datendiebe aufzunehmen und Verstöße schärfer zu ahnden. Die Opposition warf der Regierung indes vor, die notwendigen Maßnahmen versäumt zu haben. Der Winterschlaf könnte die Bundesbürger teuer zu stehen kommen, warnen sie. Dabei werden die Konten doch sowieso schon für Weihnachtsgeschenke geplündert.

Im Juni stellte sich heraus, dass Meldedaten von rund 500 000 Bürgern aus 15 deutschen Kommunen über Monate hinweg frei im Internet zugänglich waren. Ursache der Datenpanne: Die Verantwortlichen hatten das Standard-Passwort für die Verwaltungssoftware nicht geändert.

Die Verbraucherschützer trauten ihren Augen nicht. Im August landete ein Datenträger mit Namen, Adressen, Telefonnummern, Geburtsdaten und Bankinformationen von 17 000 Bundesbürgern auf dem Tisch der Verbraucherschutzzentrale Schleswig-Holstein. Mit den Daten war rege gehandelt worden.

Bundes-Trojaner: Innenminister Wolfgang Schäuble drängt trotz Einschränkungen durch das Bundesverfassungsgericht auf mehr Überwachung. Zwar scheiterte das umstrittene BKA-Gesetz im Bundesrat im ersten Anlauf. Doch trotz aller Vorbehalte wird wohl ein Kompromiss wirksam. Die Regierung will das Vorhaben noch vor Weihnachten durch alle Instanzen peitschen, damit die neuen Regeln im Januar 2009 in Kraft treten können. Die Berliner Landesbank (LBB) hat zehntausende vertrauliche Kreditkartendaten aus ganz Deutschland verloren. Die Verantwortlichen versicherten, die Vermögen der Kunden seinen nicht in Gefahr. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar zeigte sich trotzdem entsetzt von dem neuen Fall.

In Europa sorgten Diskussionen um so genannte Nackt-Scanner für Empörung. Die EU-Kommission hatte Ende Oktober die neue Überwachungstechnik zugelassen, die Personen im wahrsten Sinne des Wortes bis auf die Haut durchleuchtet. Auch deutsche Behörden planen bereits erste Feldversuche mit den Ganzkörper-Scannern. Angeblich lasse sich damit die Sicherheit beispielsweise an Flughäfen verbessern. Gegner sprechen von einer stattlich verordneten, unfreiwilligen Peep-Show.