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2001: Zwölf Monate Unsicherheit (4)

28.12.2001
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MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - War das ein gutes Jahr? Die zwölf vergangenen Monate und die darin vorherrschende globale Stimmung lassen sich wohl mit wenigen Worten zutreffend beschreiben: allgemeine Verunsicherung. Die nationalen Wirtschaften beginnen in eine Rezession abzudriften - angeführt von der Leitnation USA.

Oktober

Den schlimmsten anzunehmenden Computer-Crash durchleidet die Hypo-Vereinsbank Anfang Oktober. Nichts geht mehr bei den bayerischen Bankern. Kein Kontoauszug langt mehr beim Kunden an, Bankautomaten spucken kein Geld aus, die Rechnersysteme der Filialen streiken wieder und wieder. Unklar bleibt, ob die Probleme in einer Fehlfunktion der IBM-Mainframes sowie der dort lagernden DB2-Datenbank zu suchen sind oder durch einen massiven Virenbefall verursacht werden.

Am 9. Oktober 2001 ist es entschieden: Das IT-Team der Pro-7-Information Service und der SZM Studios ist der Gewinner des diesjährigen Wettbewerbs "Anwender des Jahres". Den veranstaltet die CW einmal pro Jahr gemeinsam mit der Unternehmensberatung Gartner.

Die brutalen Anschläge auf New York, das Pentagon und Pennsylvania haben nicht nur Tausende Menschenleben gekostet, sondern offensichtlich auch das Wirtschaftsleben der westlichen Welt empfindlich getroffen - oder sollten doch viele Firmen die Terrorattacken zynisch nutzen, um mit diesen ihre schlechten Geschäftsergebnisse zu rechtfertigen und damit Massenentlassungen zu begründen? Jedenfalls gehören auch die Telekom-Firmen Alcatel, Nortel und Corning zu den vielen Unternehmen, die jetzt gleich zu Tausenden Mitarbeiter freisetzen.

Die IT-Messe Systems in München muss dem allgemeinen wirtschaftlichen Abschwung Tribut zollen. Viele Firmen besitzen nicht mehr das Budget, um in München auftreten zu können. Zu kämpfen haben nicht nur die Unternehmen der New Economy. Jetzt erfasst die Baisse auch die etablierten Anbieter. Statt der erhofften 3200 Aussteller präsentieren sich lediglich rund 2800 im neuen Messezentrum Münchens.

Krise als Chance

Dabei kommt die Systems, könnte man wohlmeinend formulieren, mit einem blauen Auge davon. Man könnte aber auch schreiben, die satten 18 Prozent weniger Besucher und 16 Prozent weniger Aussteller seien eine Ohrfeige für das Messekonzept der Münchner.

Larry Ellison sieht in der Krise nach den Anschlägen eine Chance: Er progagiert Pläne für eine zentrale Datenbank mit Informationen über alle Bürger der USA. Ein digitaler Ausweis sowie eine einzige nationale Datenbank statt vieler heterogener würde einen wirksamen Schutz gegen den Terror bieten, sagt der Oracle-Chef. Wer die Datenbank liefern würde, dürfte klar sein. Datenschützer sind begeistert.

Die IT-Branche übrigens braucht sich im Oktober nicht wirklich zu beklagen: Das auch vom Bitkom getragene Marktforschungsprojekt "European Information Technology Observatory" (Eito) kommt zu dem Ergebnis, dass die IuK-Industrie weltweit immer noch wächst, und zwar um sieben Prozent. Insbesondere Software und Service behaupten sich als Wachstumsmotor. Allerdings waren die Steigerungsraten früher im zweistelligen Bereich: Die Branche klagt also auf hohem Niveau.

November

Nach der Hypo-Vereinsbank gerät ein weiteres deutsches Großunternehmen wegen DV-Schwierigkeiten negativ in die Schlagzeilen: Der Axel Springer Verlag wollte mit dem Content-Management-System des US-Herstellers Vignette ein Redaktionssystem entwickeln. Bekommen hat er eine Geldverbrennungsanlage. Die Software des texanischen Softwarehauses konnte die Anforderungen des Großverlags für die "Bild.de"-Homepage offensichtlich nicht erfüllen.

Ziemlich peinlich ist auch, wie sich das US-Justizministerium im Rechtsstreit gegen Microsoft wieder zusammenfalten lässt. Und das wohl, weil höhere Stellen aus dem Weißen Haus es gerne sehen, dass das so über die Maßen erfolgreiche US-Unternehmen nicht vor den Augen der Weltöffentlichkeit vorgeführt wird. Der zwischen dem Justizministerium und einem Teil der ebenfalls klagenden Bundesstaaten zusammen mit Microsoft ausgehandelte Kompromiss wird von den Beobachtern eindeutig als Kniefall vor US-Präsident Georg Bush gewertet. Justizminister John Ashcroft lässt ausrichten, das Weiße Haus habe in keiner Beziehung versucht, das "Ergebnis zu formen oder zu beeinflussen". Die Vereinbarungen, die eine Beendigung des nun seit Jahren geführten Rechtsstreits herbeiführen sollen, sind so wachsweich,

dass Microsoft fast ungestört mit seinen inkriminierten Geschäftspraktiken fortfahren kann. Aber noch ist keine endgültige Entscheidung über den Fortgang des Verfahrens getroffen.

Derweil dräuen dunkle Wolken am Himmel über Carleton Fiorina: Beide Söhne der HP-Firmengründer, David Packard und Walter Hewlett, sprechen sich gegen die Fusion mit Compaq aus. Das ist für Fiorina ein ziemlicher Imageverlust. Abgesehen davon mehren sich mit dieser Absage die Zeichen, dass der Zusammenschluss der beiden Großunternehmen doch noch scheitern könnte. Alles wartet nun darauf, wie sich Susan Packard Orr und die Vertreter der David und Lucile Packard Foundation entscheiden werden. Die Packard Foundation hält allein nämlich rund zehn Prozent der HP-Aktien und ist damit der größte Aktieneigner. Stellt sich Orr, Tochter von Firmengründer Packard und Chairman der Packard-Stiftung, gegen den Deal, dann ist die Fusion ernstlich gefährdet - und die Zukunft von HP-Chefin Fiorina mehr als ungewiss.

Wie erwartet, geht der Prozess gegen Microsoft nun doch weiter: Neun der 18 klageführenden US-Bundesstaaten neben dem Justizministerium wollen sich nicht auf den Kuhhandel eines Kompromisses einlassen, der Microsoft weitgehend ungeschoren lassen würde. Sie fordern kompromisslos eine Verurteilung der Gates-Company.

In Deutschland legt Infineon nicht nur für das letzte Geschäftsquartal, sondern für das gesamte Jahr tiefrote Zahlen vor. Das Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen stürzte von 1,12 Milliarden Euro Gewinn im Vorjahr auf jetzt 591 Millionen Euro Verlust ab. Firmen-Chef Ulrich Schumacher gerät darob immer mehr in die Kritik.

Doch für Siemens-Chef Heinrich von Pierer reißen die schlechten Nachrichten damit nicht ab: Auch die Geschäftsdivision Information and Communications (I&C) meldet schwere Verluste im abgelaufenen Jahr. Sogar der Dienstleister Siemens Business Services (SBS) schreibt blutrote Zahlen. Dabei sollen gerade Dienstleistungen der IT-Branche Leben einhauchen. Irgendetwas macht SBS offensichtlich falsch. SBS-Chef Friedrich Fröschl wird deshalb auf den CIO-Posten der Siemens AG weggelobt. Fujitsu-Siemens-Boss Paul Stodden soll SBS jetzt auf Vordermann bringen.

In Frankreich schlingert derweil das Staatsunternehmen Bull von einer Krise in die nächste. Erst eine Zusage des Staats an den Aufsichtsrat, dass ein Darlehen über 100 Millionen Euro gewährt werde, sichert die mittelfristige Zahlungsfähigkeit des Konzerns. Vorstandschef Guy de Panafieu nimmt wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation des Unternehmens seinen Hut.

Eine Katastrophe, die schon frühzeitig abzusehen war, zeichnet sich immer deutlicher ab: Die Geschäftsmodelle der sechs UMTS-Lizenznehmer in Deutschland stehen auf tönernen Füßen. Weder lässt sich vorhersagen, ob Kunden überhaupt Interesse an der Technologie haben, noch gibt es auch nur eine einzige Anwendung, die dieses Interesse mit Macht wecken könnte. Genau solche so genannten Killerapplikationen würden die UMTS-Lizenznehmer aber von den Inhalteanbietern brauchen, damit die Technologie nicht zum kapitalen Flop gerät.

Zum Jahresende glimmt noch einmal Hoffnung auf: Die IT- und TK-Branche wächst zwar langsamer als ursprünglich angenommen. Laut Bitkom soll es aber im kommenden Jahr wieder leicht aufwärts gehen. Auch die Unternehmensberater von Gartner sehen ein zumindest moderates Wachstum voraus. Aus Hannover, wo die CeBIT Jahr für Jahr gewachsen ist, kommen ebenfalls positive Zeichen: Entgegen dem allgemeinen Trend zeichnet sich ab, dass sich vom 13. bis 20. März 2002 eine Rekordzahl von Ausstellern in der Leinestadt tummeln wird. Zwar nur geringfügig um 60 Unternehmen angewachsen auf 8150 Aussteller, wird die kommende CeBIT die größte IT-Messe aller Zeiten werden.

Dezember

In der Nacht vom 7. auf den 8. Dezember 2001 erfährt die berufliche Zukunft von Carleton Fiorina, Vorstandsvorsitzende von Hewlett-Packard, und von Michael Capellas, ihrem Pendant bei Compaq, möglicherweise eine entscheidende Weichenstellung aufs Abstellgleis: Susan Packard Orr und die Vertreter der David und Lucile Packard Foundation entscheiden, dass sie gegen die Fusion von HP und Compaq stimmen werden. Der größte HP-Aktieneigner wendet sich somit ab von Fiorina. Alle Hewlett- und Packard-Nachfahren und auch ihre verbundenen Stiftungen, in deren Besitz mehr als 18 Prozent des gesamten HP-Aktienbestandes vereint sind, sprechen sich gegen die geplante Fusion aus. Der Firmenzusammenschluss steht damit ernstlich vor dem Aus. Nach allem Ermessen kann das nur heißen, dass Fiorina als Unternehmenslenkerin nicht

mehr zu halten ist. Und auch Compaq-CEO Capellas ist in seinem Unternehmen alles andere als unumstritten. Fällt die Fusion aus, dürfte er mitfallen. Spätestens im Februar 2002 wird die Welt wissen, ob die angefeindetste Firmenehe aller Zeiten doch noch im Hochzeitsbett landet. Oder ob nichts gewesen ist außer viel Polterabend.