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2001: Zwölf Monate Unsicherheit (2)

27.12.2001
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MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - War das ein gutes Jahr? Die zwölf vergangenen Monate und die darin vorherrschende globale Stimmung lassen sich wohl mit wenigen Worten zutreffend beschreiben: allgemeine Verunsicherung. Die nationalen Wirtschaften beginnen in eine Rezession abzudriften - angeführt von der Leitnation USA.

April

Wie frostig es auch in den ehedem hochgejubelten E-Commerce-Firmen zugehen kann, wenn die Geschäfte nicht mehr laufen, zeigt Anfang April der Fall Ariba: Der Überflieger aus der B-to-B-Softwarebranche hatte noch im Dezember 2000 mit Gewinnen glänzen können. Drei Monate später hat das dunkle Zeitalter der New-Economy-Krise die Mannen um CEO Keith Krach ("Wir waren selbst von der Dimension des Einbruchs überrascht") eingeholt. Statt Umsatzanstieg ein Rückgang um 50 Prozent, statt Gewinnen prognostizierte Verluste von 20 Cent pro Aktie. 700 Mitarbeiter und damit ein Drittel der Belegschaft werden entlassen. Der Wert der Ariba-Aktie hat sich seit dem Herbst 2000 von über 170 Dollar auf rund fünf Dollar fast pulverisiert.

Damit ist auch die geplante Übernahme des Softwarehauses Agile und die Einverleibung von dessen Software für den Collaborative Commerce erledigt. Die Technologie hätte Ariba dringend benötigt, um sein "Value-Chain-Management"-Portfolio gegen das Angebot des ehemaligen Partners und jetzigen erbitterten Konkurrenten i2 Technologies aufzupolieren. Einziger "Trost": Zeitgleich muss auch i2 ankündigen, die Umsätze wiesen zwar eine respektable Steigerung auf, der Gewinn jedoch falle im ersten Geschäftsquartal nur noch dürftig aus. Auch hier will man sich von einem großen Teil der Belegschaft trennen: 600 der rund 6100 Mitarbeiter werden entlassen.

Einen Service der besonderen Art offeriert Pannenhoster Strato seinen Kunden: Angeblich wegen eines defekten EMC-Speichers im Karlsruher Rechenzentrum von KPN Qwest waren über Tage 1,5 Millionen Domänen nicht erreichbar. 7000 Kunden mit Homepages mussten zur Kenntnis nehmen, dass ihre kompletten Daten verschwunden waren. Über die Gründe des Desasters schweigen sich die beteiligten Parteien aus.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob, moniert in seinem "18. Tätigkeitsbericht 1999 - 2000" die massiv anwachsende Überwachungstätigkeit staatlicher Stellen. Von 1995 auf 1999 habe sich die Zahl der Überprüfungsanordnungen fast verdreifacht. Zu diesem Zeitpunkt konnte der oberste Datenschützer der Bundesrepublik noch nicht wissen, was für einen rechtsstaatlich fragwürdigen Katalog Bundesinnenminister Otto Schily ("Otto-Katalog") nach den Attacken vom 11. September 2001 zur flächendeckenden Überwachung aller Bürger auflegen würde. Überboten wurde der ehemalige Grünen-Abgeordnete nur noch durch den Vorschlag des Bundesrates, der am liebsten alle Kontrollen für die staatliche Überwachung der Bürger fallen lassen würde.

Die technischen Schwierigkeiten von Sun Microsystems mit seinem Ultrasparc-III-Prozessor markieren ein Problem, das schon im vergangenen Jahr mit schöner Regelmäßigkeit in den Medien offenbar wurde. Auch 2001 verfolgt uns dieses Thema. Jetzt geben die Kalifornier bekannt, dass abgesehen von dem Problem, die nötige Stückzahl auf den Markt zu werfen, auch noch ein Softwarefehler im Silizium entdeckt wurde. Es gilt also weiter das Motto: Demnächst wieder in diesem Theater.

Ende April schallte ein kleiner Donnerhall durch die IT-Industrie: Informix, einer der Großen der Datenbankszene mit dem gleichnamigen Datenbankprodukt, lässt sich von IBM ausschlachten. Während Big Blue die Datenbanktechnik kauft, werden die E-Business-Lösungen, also Analyse- und Extraktionswerkzeuge sowie ein Content-Management-System, in die Ascentia-Division ausgegliedert. Neue Technologie, die er selbst nicht schon hätte, kauft sich der Branchengrößte mit Informix nicht, wohl aber dessen Datenbankspezialisten und eine Basis von rund 100.000 Informix-Kunden.

Und dann gibt es da noch Dell. Der Direktvertreiber scheint immun gegen jede Marktschwäche und verkauft seine PCs und PC-Server, als gebe es keine Wirtschaftskrise. Im April folgt die Adelung: Mit dem ersten Quartal des Jahres 2001 hat sich das Unternehmen von Michael Dell erstmals in seiner Firmengeschichte an die Spitze der PC-Verkäufer gesetzt - und das weltweit. Während HP im ersten Vierteljahr bei den Stückzahlen 3,5 Prozentpunkte gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres verlor und Compaq nur um 0,3 Prozent wuchs, steigerte Dell seinen Stückzahlenverkauf um satte 34,3 Prozent. Damit besitzen die Texaner einen Weltmarktanteil von 12,8 Prozent - und das ist Spitze.

Mai

Wäre man zynisch, würde man aus deutscher Sicht sagen: "Die haben in den USA sowieso so wenig Urlaub, gönnen wir ihnen die eine zusätzliche Woche doch." Gemeint sind die Mitarbeiter von HP und Sun. Die sollen nämlich im Sommer nach im Mai bekannt gewordenen Plänen für eine Woche in Zwangsurlaub geschickt werden. Beide Unternehmen müssen rigoros sparen, ein Mini-Sabbatical soll dabei helfen. HP fällt dann später im Jahr noch ein, seine Mitarbeiter weltweit zu natürlich völlig freiwilligen Gehaltsreduzierungen zu animieren.

Ein anderes Thema hat sich spätestens im Mai erledigt: Die Klagen über den Fachkräftemangel in Deutschland sind verhallt. Niemand sucht mehr händeringend nach Experten. Eine Untersuchung von EMC/Adecco, die die Stellenanzeigen in Tages- und Fachzeitungen auswertet, zeigt, dass im ersten Jahresquartal acht Prozent weniger IT-Jobs ausgelobt wurden als im Vorjahreszeitraum. Auch der nicht zu Pessimismus neigende Herstellerverband Bitkom revidiert seine vormals optimistische Prognose eines Beschäftigungswachstums von vier Prozent um die Hälfte.

Zu den sich verdüsternden Aussichten passt, dass sogar der Marktüberflieger Dell weitere 4000 Mitarbeiter beziehungsweise rund ein Zehntel seiner Belegschaft entlässt. Im Februar hatte das Unternehmen schon 1700 Angestellten den Laufpass gegeben.

Viel schlimmer regnet es der Internet-Beratungsfirma Marchfirst rein: Im April hatte bereits die US-Mutter Gläubigerschutz beantragen müssen. Einen Monat später sieht sich auch die deutsche GmbH gezwungen, einen Insolvenzantrag zu stellen.

Und auch das gehört wohl zu den schlechten Zeiten: Im Bestreben, die Quartalsberichte in ein positiveres Licht zu tauchen, gestalten manche Firmen die Buchführung in ausgesprochen kreativer Weise. Computer Associates (CA) gerät wegen seiner ingeniösen Art, Zahlen schönzuschreiben, im Mai in Misskredit. Die "New York Times" argwöhnt, CA habe Wartungs- als Lizenzumsätze verrechnet und dergestalt ein Neukundengeschäft vorgegaukelt, dass es so nicht gibt. Analysten winken allerdings ab und können kein Fehlverhalten erkennen. Immerhin gesteht CA aber ein, in der Pressemitteilung zum Geschäftsjahr 2001 sei ein "kleiner Druckfehler" aufgetreten: Statt wie geschrieben 40 Cent pro Aktie und damit 230 Millionen Dollar Gewinn macht das Unternehmen nur 16 Cent Profit pro Anteil. Bei der Übertragung von der

Buchhaltung in die Pressemitteilung habe sich der Fehler eingeschlichen. Und das glauben wir auch.

Microsoft denkt da bezüglich seines Geschäftsmodells viel unkomplizierter: Mitte Mai dekretieren die Gatesianer dem Rest der Welt, künftig müssten Anwender für die Umstellung auf aktuelle Versionen von "Office"-Suiten richtig tief in die Taschen greifen. Die Unternehmensberater von Gartner rechnen vor, wie tief: Bis zu 107 Prozent mehr muss berappen, wer mit seiner Bürosoftware auf dem aktuellen Stand sein will.

Ende Mai wird endlich wahr: Intel bringt die erste Generation von Itanium-Chips, seinen ersten 64-Bit-Prozessor, auf den Markt. Und Hersteller wie HP, IBM und Dell stehen schon Schlange, ihre IA-64-bewehrten Systeme als potente Rechenknechte anzupreisen.

Anders als viele andere Unternehmen und Institutionen beantwortet IBM die K-Frage frühzeitig. In einem CNN-Interview macht Big Blues Oberhaupt Louis Gerstner klar, wer ihm auf dem Thron folgen wird, wenn er im März 2002 seinen dann auslaufenden Vertrag nicht mehr verlängern will und IBM einen Nachfolger benötigt: Chief Operating Officer (COO) Sam Palmisano darf sich als Thronprätendent fühlen, seit Gerstner ihm "Führungspersönlichkeit" attestierte.

Juni

Eine kleine Meldung war es nur - aber eine Hoffnung spendende. Der von Invensys gekaufte ERP-Anbieter Baan legte im vierten Geschäftsquartal 2000/01 mit einem operativen Plus von 8,5 Millionen Dollar zum wiederholten Mal positive Zahlen vor. Außerdem erhöhte Baan seinen Klientenstamm innerhalb von drei Monaten um immerhin 40 Kunden. Seit dem Aufkauf durch Invensys im August 2000 konnte der Anbieter von betriebswirtschaftlicher Standardsoftware damit insgesamt 200 neue Unternehmen für den Kauf seiner Produkte erwärmen.

Bei Sun Microsystems in Deutschland endet eine Ära: Im Juni geht Helmut Krings nach 17 Jahren von Bord des in Deutschland flott durch die Unternehmen pflügenden Solaris-Kreuzers. 68 Quartale hat er an der Spitze der deutschen Sun-Tochter regiert - allein das eine herausragende Leistung. Nun übergibt er das Zepter an Helmut Wilke.

PC-Preiskampf? Cool! - wirbt Direktvertreiber Gateway im Juni. Mit dem Versprechen, jedes Angebot der Konkurrenz zu unterbieten, glaubt CEO Ted Waitt, dem Erzkontrahenten Dell und dem Rest der PC-Branche die Stirn bieten zu können. Dieses vollmundige Anerbieten wird sich später prompt rächen. Einen Monat später schließt das Unternehmen seine Deutschland-Dependance.

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Wie sich ein Aktionär fühlt, der seinetwegen 40.000 Mark und mehr verloren hat, könne er bei seinen Einkommensverhältnissen wohl nicht nachvollziehen, herrscht eine Aktionärsvertreterin Ron Sommer auf der Hauptversammlung der Deutschen Telekom im Frühsommer an. Wir wissen nicht, ob er kann. Jedenfalls ist man laut Sunny-Ronny ein Global Player, und allein deshalb wird alles gut. Wollen wir mal glauben.

Eine Riesenfusion kommt nicht zustande: Weil einige Citoyens der Grande Nation - genauer gesagt die von Alcatel - mehr Macht im geplanten zusammengeschlossenen Unternehmen beanspruchen, Lucent dem aber nicht entsprechen will, wird das Merger-Spektakel kurzerhand abgeblasen.

Customer Relationsship Management ist der Renner unter den Modeworten der IT-Branche seit mindestens zwei Jahren. Mitte Juni stellt die Unternehmensberatung Gartner aber fest, dass die Zahl der fehlgeschlagenen CRM-Projekte sich von jetzt schon 65 Prozent bis Mitte 2003 auf 80 Prozent erhöhen wird. Grund: unzureichende Planung, Integrations-, Koordinations- und Akzeptanzprobleme. Noch in vier Jahren werde jedes zweite CRM-Projekt scheitern.

Ein historisches Ereignis schockiert Mitte Juni die IT-Branche: Erstmals in der Geschichte muss die PC-Industrie in den USA rückläufige Stückzahlen verkraften. Mit kurzer Verzögerung wird sich diese Erschütterung in Europa und Deutschland wiederholen. Etwas abenteuerlicher klingt es in diesem Zusammenhang, dass Amazon.com, weltbekannter Vorreiter der Online-Buchläden, mit kontinuierlich roten Zahlen, ausgerechnet jetzt plant, auch PCs über seine Homepage zu verkaufen. Amazon-Chef Jeffrey Bezos hofft, so die defizitäre Lage der Firma ausgleichen zu können.

Wir sind die Anwender! Oracle-Chef Larry Ellison dürften die massiven Proteste seiner Kundschaft in den Ohren geklungen haben, die sich über das undurchsichtige Preismodell des Datenbankanbieters mit E-Ambitionen beschwerten. Mit der brandneuen Datenbankversion "9i" reagiert Ellison. Ob die Benutzer von der neuen Preispolitik wirklich profitieren, ist noch unklar. Was die Oracle Deutschland GmbH davon hat, dass sich ihr langjähriger Vorsitzender der Geschäftsleitung, Wolfgang Jaeger, ganz leise verabschiedet und den Platz räumt für Rolf Schwirz, ist auch noch nicht abzusehen.

In der Kostenfalle ist die Stuttgarter Brokat AG um Vorstand Stefan Röver Mitte Juni. Der Markt für E-Business-Konzepte verlangt immer höhere Entwicklungs- und Marketing-Aufwendungen. Der ehemalige Börsenliebling hat aber kein Geld dafür. Es droht die Zahlungsunfähigkeit.

Jetzt tun sie es doch: Immer wieder ausgerufen - vor allem auch in dieser Zeitung - wurde der Tod der Alpha-Architektur. Am 10. November 1992 hatte damals noch Digital Equipment Corp. erste Systeme mit dem 64-Bit-Chip präsentiert. Der Anfang vom Ende der leistungsstärksten Prozessoren auf dem Markt zeichnete sich bereits ab, als Compaq sich DEC im Jahr 1998 einverleibte. Ende Juni sagt Compaq-Deutschland-Chef Peter-Mark Droste, ab Ende 2003 würden Alpha-Systeme nicht mehr aktiv vermarktet.

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