1988: Das Jahr der Philanthropen

23.12.1988

Open Software Foundation (OSF), Open Token Foundation (OTF), die Gruppe EISA (Extended Industry Standard Architecture): Der geradezu zwanghafte Drang nach Gemeinsamkeit, so hat es sich der staunenden Fachöffentlichkeit dargestellt, bestimmte 1988 das Verhalten der DV-Anbieter.

Als Philanthropen, als Wohltäter der Anwender, versuchten sich die Computerhersteller auszugeben. Bei den Bekundungen der OSF etwa konnten einem wirklich die Tränen kommen. Zitat aus dem OSF-Gründungspapier: "Die Errichtung dieser Stiftung ist die Antwort auf das drängende Verlangen nach einer offenen, vernünftigen und gerechten Vorgehensweise, um die Standards zu schaffen, die unsere Kunden verlangen und die ihre langfristigen Investitionen schützen."

Lippenbekenntnisse, Mund-Marketing? Ja, vielleicht, aber vielleicht auch nicht. Zwar ist Aufrichtigkeit bei der Computer-Industrie nie sonderlich gefragt gewesen, aber wer, wie IBM & Co., mit dem Rücken zur Wand steht, kann sich die Wettbewerbswaffen nicht mehr nach Belieben aussuchen. Der Markt verlangt nach offenen Systemen, der Druck auf die Hersteller ist da - nur das zählt.

Zum Jahreswechsel ist es erlaubt, ganz einfache Fragen zu stellen. Zum Beispiel zur OSF: Sind die Anwender dem Ziel "Offene Systeme" ein Stück nähergekommen? Oder hat das OSF-Konsortium die Entwicklung in Richtung "Open Systems" nicht eher gebremst? Man sollte von den Herstellern selbst keine offenen Antworten erwarten. Nehmen wir die IBM: Der Mainframe-Monopolist hat mit seinen Proprietary-Pfründen (370, Schrägstrich-Systeme) sehr viel zu verlieren, es deshalb am wenigsten eilig, auf Standards wie Unix zu setzen. Mehr noch: Man will Unix in der kommerziellen Datenverarbeitung, Big Blues eigentlicher Domäne (neuerdings AS/400), nicht haben.

Es war ja immer klar, daß sich das weitgehend Hardware-neutrale Betriebssystem im technisch-wissenschaftlichen Bereich durchsetzen würde, wenn man die Software-Entwickler nur machen ließe. Unix ist ja seiner Herkunft nach ein echtes User-Kind (Bell Labs!). Offenkundig hat es sich im Markt der technischen Workstations als De-facto-Standard etabliert. Daran will, wie das AIX-Engagement zeigt, selbst die IBM nicht rütteln.

Das Bemerkenswerte an der Unix-Bewegung ist nun, daß sie auf den kommerziellen Markt übergreift. Diese Entwicklung kann der IBM nicht geheuer sein. Es gilt, das Unix-Feuer unter Kontrolle zu halten und den Schaden (Verlust von Marktanteilen) zu begrenzen. Dies - nicht mehr, aber auch nicht weniger - ist das Motiv, das die IBM in der OSF umtreibt. Fazit: Anwender, die ihre DV-Investitionen schützen wollen, tun gut daran, nicht mit dem Edelmut der großen Anbieter zu rechnen.

Ein Informatik-Experte hat es auf den Punkt gebracht. Das Anwenderzitat des Jahres 1988 stammt von Bernhard R. Bachmann, Leiter der Abteilung Neue Technologien bei der Schweizerischen Bankgesellschaft, Zürich: "Die Industrie hängt weltweit von der Informatik ab - nicht nur als notwendiges Übel, sondern als Lebensstrang und immer mehr als Vehikel zur Vergrößerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Daß diese vitale Komponente des mittel- bis langfristigen Erfolges der Willkür der Computerindustrie ausgesetzt ist, ist unannehmbar. Als Benutzervertreter kann ich es nicht akzeptieren, daß ich eine Erkältung haben muß, weil IBM hustet. Die einzige Lösung liegt bei offenen Standards. "