1979: Das Jahr der Halbstarken

21.12.1979

1979 war das Jahr der "Halbstarken" unter den Computer-Herstellern. Mit Akquisitionsfleiß und Marketinggeschick dringen sie in die Stamm-Märkte der Branchenriesen ein und brechen die Vorherrschaft der Mainframer. Zu den Gewinnern zählen Nixdorf, Hewlett-Packard, Digital Equipment und Tandem.

Doch der Kampf um Marktanteile brachte nicht nur Imagezuwachs und Umsatzplus. Er hinterließ auch negative Spuren, wobei Inforex mit einem blauen Auge davonkam (CW-Nr. 50 vom 14. Dezember 1979: "Inforex glaubt an Fortbestand'').

Verlierer des Jahres ist die Itel Corporation, der die Herausforderer-Rolle gegen den "Meister aller Klassen" IBM wahrlich nicht gut bekam. Nach einem exzellent getimten und genauen Konter des Marktführers (Ankündigung der 4300 im Januar 1979) kam Ende September das verzögerte Aus für den 370-Nachahmer.

Neutrale Beobachter wollen freilich gesehen haben, daß die IBM-Aktion, die letztlich das Itel-Schicksal besiegelte, nicht den Marktregeln entsprach. IBM habe den Schlag zunächst nur angetäuscht, sagen die Experten - und verweisen auf die langen Lieferzeiten der Serie 4300. Doch um bei der Boxkampf-Analogie zu bleiben: Gewonnen ist gewonnen, nach dem "Wie" fragt später niemand mehr. Und was das Verhältnis Kunden zu IBM angeht, kann getrost gesagt werden: Es ist durch nichts zu erschüttern.

Dies wurde wieder einmal deutlich, als der Marktführer im August schweren Herzens mit dem Geständnis überkommen mußte, die Datenbank-Black-box des Systems /38 sei löchrig wie ein Schweizer Käse. Mittlerweile herrscht wieder Ruhe an der /38-Front. Die-System-/3-Klientel, aus der sich die Besteller des Datenbankcomputers rekrutieren, ist offenbar der Meinung, IBM werde das Kind schon schaukeln.

Gleichwohl bleibt ein Nachgeschmack: Hat der Marktführer derartige Tricks nötig?

Die Frage ist auch deshalb berechtigt, weil es Beispiele für faires Herstellerverhalten gibt. So vertröstete Data General die COMPUTERWOCHE-Redaktion auf eine Anfrage mit dem Hinweis, daß "wir grundsätzlich erst dann über Projekte berichten wollen, wenn die Installationen auch tatsächlich abgeschlossen sind und die Anwendungsprogramme laufen". Dieses Beispiel sollte Schule machen.

Daß weniger oft mehr ist, erwies sich auch im Falle Nixdorf. Seit nunmehr zwölf Monaten steht eine in München stationierte Sondereinheit der Paderborner Gewehr bei Fuß, um IBM auf dem Marktsegment der unteren Mittelklasse zu attackieren. Intensive Verhandlungen mit amerikanischen Herstellern IBM-kompatibler Zentraleinheiten laufen. Als möglicher Kooperations-partner ist jetzt die kalifornische Two Pi Corporation im Gespräch. Dies blieb bisher ohne Nixdorf-Dementi.

Die NCAG-Firmenspitze ließ lediglich verlauten, daß man nichts überstürzen wolle - eine kluge Entscheidung angesichts der Unsicherheit, die seit der 4300 Ankündigung auf dem Universalrechner-Markt herrscht.

Die Paderborner halten sich derweil auf anderen Gebieten schadlos. So sei ihr 8100-Pendant, das System 8850, bei Großanwendern als echte Distributed-Processing-Alternative aufgenommen worden. Über die Markterprobungsphase hinaus sei auch das im Frühjahr '79 vorgestellte Textverarbeitungssystem 8840. Schließlich erweise sich der "Personal Computer" LK 3000 als Volltreffer.

Überdies verfolgt Nixdorf auf dem Softwaresektor, wie IBM, eine konsequente Unbundling-Strategie. Das dürfte sich - wenn die Kunden die Kröte erst einmal geschluckt haben - doppelt und dreifach auszahlen, zumal die Kleincomputer Konkurrenz (Kienzle und Philips) noch glaubhaft machen muß, daß es ihr mit der entbündelten Berechnung von Dienstleistungen auch wirklich ernst ist.

Daß sich der MDT-Emporkömmling anschickt, auf dem amerikanischen Markt Furore zu machen, bestätigt seine Ausnahmestellung unter den Nicht-Mainframern. Fazit: Der Nixdorf Start ins Großrechnergeschäft ist überfällig.