IT in der Medienbranche/Ein Redaktionsverbund via Corporate Network

14 Kreiszeitungsredaktionen in einem Sprach- und Datennetz

02.10.1998

Zwölf Kreiszeitungen mit einer Gesamtauflage von täglich 85000 Exemplaren, eine wöchentliche Werbezeitung und ein Sonntagsblatt erscheinen unter dem Dach der Kreiszeitung-Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG in Syke bei Bremen. Dazu hat das Haus 14 Lokalredaktionen mit der Zentrale über ein integriertes Sprach- und Datennetz verbunden.

Die Idee dazu war in der Geschäftsführung des Verlags Ende 1994 gereift. Die Impulse gaben drei Faktoren: hohe Telefongebühren, veraltete und bereits abgeschriebene analoge TK-Anlagen sowie bis dahin durchsatzschwache Datenverbindungen mit maximal 9,6 Kbit/s, die das Arbeiten der Redakteure auf dem zentralen Redaktionssystem immer wieder ins Stocken brachten.

Zwar sollte fortan ein dezentral organisiertes Redaktionssystem mehr Flexibilität in die Lokalredaktionen bringen, aber ein Wechsel auf durchsatzstärkere Weitverkehrsverbindungen war unvermeidlich. Denn alle in den einzelnen lokalen Redaktionen erstellten Seiten müßten auch künftig für das Layout, den Umbruch und den anschließenden Druck an die Zentrale nach Syke übermittelt werden.

Außerdem wollte der Verlag mit dem neuen Redaktionssystem die Tageszeitungen von Schwarzweiß- auf Acht-Farbdruck umstellen. Dies hat vor allem Folgen wegen der Fotos, die entweder mit digitalen Kameras aufgenommen oder vor Ort gescannt werden, immer aber ein großes Datenvolumen mit sich bringen. Das verlangte für die Verbindungen zusätzliche Bandbreite.

Mit Siemens als Generalunternehmer, Planer sowie Lieferant der TK-Anlagen vom Typ Hicom 200 machte sich der Verlag Ende 1994 daran, das Corporate Network schrittweise aufzubauen. Hinsichtlich der Integration von Daten und Sprache entschieden sich die Verantwortlichen für WAN-Switch-Systeme von Datus, Aachen.

Zwischen den lokalen Redaktionen fiel die Wahl auf D64S- beziehungsweise D64S2-Festverbindungen. In den größeren Standorten sollten die Datus-Systeme 5810/65S und 5810/20S, in den kleineren Standorten die Anlagen Meeting Point 2020 und 2040 das Handling des Sprach-Daten-Verkehrs übernehmen. Dazu wurde der WAN-Switch über eine S2M-Verbindung (30 ISDN-B-Kanäle) mit der Hicom-200-Anlage gekoppelt, parallel der Access-Router von Cisco Systems über eine 1-Mbit/s-Verbindung an das Datus-System herangeführt.

Bis November 1995 waren bereits fünf Standorte in das Sprach-Daten-Netz integriert. Dann folgten Zug um Zug weitere zehn Standorte. "Derzeit fehlt nur noch die Lokalredaktion in Walsrode", erklärt Ernst-Jürgen Wenske, Verlagsleiter des Unternehmens. "Auch dieser Standort wird bis zum Jahresende ins Corporate Network eingebunden sein."

Ganz reibungslos ging die Umsetzung des Corporate Network allerdings nicht vonstatten, wie Horst Stuckenschmidt, technischer Leiter bei der Kreiszeitung-Verlagsgesellschaft, moniert. "So kam es anfänglich zu Durchsatzproblemen mit dem Protokoll X.25, die erst mit einem Wechsel auf das schlankere Frame-Relay-Protokoll behoben werden konnten."

Zudem beanstandet Stuckenschmidt, daß einige Softwarekomponenten nur mit Verzug geliefert wurden, weshalb die Umsetzung einzelner Installationen länger dauerte als geplant. In der Summe ist der Technische Leiter mit der Realisierung des Corporate Network aber zufrieden.

Die Kreiszeitung hat mittlerweile reichlich Erfahrungen mit dem integrierten Sprach- und Datennetz sammeln können, das unter Vollast läuft. Denn über den Redaktionsverkehr hinaus laufen über das Corporate Network seit geraumer Zeit auch die Ticker-Informationen der Nachrichtendienste dpa, ap und sid zur redaktionellen Weiterbearbeitung. Hinzu kommen die Daten des zum Verlag gehörenden Bremer Senders Radio 107.1, die in Syke ins Netz eingespeist werden.

Darüber hinaus wird die Anzeigenannahme per Call-Center über das Netz abgewickelt, wobei dieser Dienst bei zu hoher Anruflast in der Zentrale Gespräche automatisch an Mitarbeiter in anderen Standorten delegiert. Ein mit den Hicom-Anlagen gekoppeltes ACD-System (ACD = Automatic Call Distribution) von Siemens zur Verteilung der Telefonate nach definierten Regeln macht dies möglich.

"Das Netz hat sich trotz der hohen Lasten bis heute in jeder Situation als stabil erwiesen", betont Wenske. Bei einer Auslastung der Primärverbindung von 75 Prozent lenkt der Datus-Switch in der Zentrale beziehungsweise ein Meeting-Point-System der Cisco-Router in den Niederlassungen den Zusatzverkehr an Daten und Sprache automatisch über eine ISDN-Wählverbindung.

"Dadurch zahlen wir für die Zweitstrecke nur für die Verbindungszeit Gebühren, und wir lasten die gebührengünstige D642/S-Festverbindung aus", freut sich der Verlagsleiter. "Zudem laufen wir auf der Erstverbindung gar nicht erst in kritische Auslastungsgrade hinein."

Der Datus-Knoten würde den zweiten Weg darüber hinaus als Ersatzstrecke schalten, wenn die Primärverbindung einmal ausfallen sollte. Auch gegen den Ausfall des WAN-Switch als Mittler des Sprach- und Datenverkehrs ist der Kreiszeitungsverlag gefeit. In diesem Fall übernimmt die Hicom-200-Anlage per Re-Routing und Wählverbindung die Vermittlung der Sprachdaten über das Netz der Deutschen Telekom, während parallel der Cisco-Router die LAN-Daten weiterleitet.

Darüber sichert das Netz-Management-System "Openview" von Hewlett-Packard die Abläufe im Corporate Network ab. Es soll nicht nur Ausfällen von Verbindungen und Komponenten vorbeugen. Der Verlag möchte auch die komplette Überwachung und Verwaltung des Weitverkehrsnetzes kostensparend von der Zentrale aus wahrnehmen. Tatsächlich reicht ein Mitarbeiter in der Zentrale für die Administration des gesamten Corporate Network aus.

Neben unterbrechungsfreier Stromversorgung (USV) an den Datus- und Hicom-Knoten gibt es eine Simatic-Anlage von Siemens für eine schnelle Alarmierung der Verantwortlichen. Die Alarmsteuerung ist mit den WAN-Switch-Systemen und den TK-Anlagen gekoppelt. Die Alarmsteuerung zeigt auf einem Display im Technikraum kritische Temperaturen in diesen Systemen und Stromausfälle an einzelnen Spannungseingängen ebenso an wie nicht automatisch getrennte Backup-Verbindungen.

"Damit entgeht uns kein für die Kommunikation im Weitverkehrsnetz bedrohlicher Zustand, und wir können in diesen Fällen sofort handeln", meint Stuckenschmidt. "Gleichzeitig können wir zu lange Backup-Schaltungen mit unnötigen Gebühren generell ausschließen."

Auch Telefonkosten drastisch gesenkt

Wirkung hat auch die gebührensparende Komprimierung des Sprachverkehrs von 64 Kbit/s auf lediglich 12,8 Kbit/s mittels Low Delay - Code Exited Linear Prediction Coding (LD-CELP) gezeigt. Die Mitarbeiter des Verlags mußten dabei keine Einbußen bei der Sprachausgabe an den Telefonen hinnehmen, wie Stuckenschmidt bestätigt.

Die Kreiszeitung-Verlagsgesellschaft spart auch durch die Least-Cost-Routing-Funktion, die die WAN-Switch-Systeme bereitstellen. Auch bei einer eher bescheidenen Flächenausdehnung des Corporate Network von zirka 110 Kilometern, einer Verteilung des internen und externen Sprachverkehrs im Verhältnis 50 zu 50 und einem Gesamtaufkommen von monatlich 48000 Telefonaten und Faxen lohnt sich Least Cost Routing, das immer die kostengünstigsten Verbindungen aufspürt.

Die Kostenvorteile des Verlages durch das Corporate Network können sich sehen lassen. Allein 10000 Mark Telefongebühren werden jeden Monat eingespart - "und zwar gegenüber dem derzeit im freien Telekommunikationsmarkt aushandelbaren Tarif", wie Wenske versichert. Hinzu kommen die Einsparungen von noch einmal 10000 Mark pro Monat durch ein vermaschtes digitales Netz gegenüber den früher analogen und hierarchisch aufgebauten Verbindungen.

Insgesamt rechnet der Verlagsleiter mit einem Amortisierungszeitraum für die Corporate-Network-Investitionen von drei Jahren. Darüber hinaus zählen im Alltagsbetrieb die qualitativen Vorteile. So kann die Kreiszeitung-Verlagsgesellschaft auf eine hohe Netzverfügbarkeit, einen schnellen und sicheren Redaktionsverbund sowie einen hohen Kommunikationskomfort bei der Telefonie bis hin zu professionellen Call-Center-Diensten im Rahmen der Anzeigenannahme bauen.

So wundert es nicht, daß die Geschäftsführung bereits weitere Pläne schmiedet. So werden mit dem Wechsel von einem Acht- auf einen 48-Farbendruck im Spätsommer dieses Jahres trotz intelligenter Lastenverteilung die D64S2-Festverbindungen zwischen den drei größten Standorten Syke, Verden und Bassum nicht mehr ausreichen.

Daher sind zur Zeit zwei Alternativen in der Diskussion: Erstens könnte man auf Festverbindungen mit einer Bandbreite von 2 x 2 Mbit/s wechseln. Das hätte jährliche Gebühren von rund 200000 Mark zur Folge. Die Alternative wäre ein Wechsel auf Richtfunkstrecken mit einer Bandbreite von 2 x 2 Mbit/s (E1). Den niedrigen Gebühren von insgesamt nur 200 Mark pro Jahr würden dann eine einmalige Investition in die Richtfunksysteme in Höhe von 250000 Mark und 70000 Mark für den Aufbau eines Sendemastes in der Sykener Zentrale gegenüberstehen.

In beiden Fällen wäre innerhalb kurzer Zeit eine Migration über die Datus-Switch-Systeme und die Siemens-Hicom-Anlagen möglich, die beide Anbindungsarten beherrschen. Im Fall der Richtfunkverbindung würde den WAN-Switch-Systemen eine Kommunikations-Box von Siemens vorgeschaltet werden.

Angeklickt

Ein norddeutscher regionaler Tageszeitungsverlag hat die dezentralen Redaktionen und Anzeigenabteilungen mit der Unternehmenszentrale und dem Druckhaus mittels eines integrierten Sprach- und Datennetzes zusammengeschlossen. Das digitale System ist nicht nur ausfallsicherer, sondern erlaubt auch den Transport von größeren Datenvolumen, wie es der Übergang von Schwarzweiß- auf Farbdruck zur Folge hat. Least-Cost-Routing brachte außerdem eine erkleckliche Einsparung an Telefongebühren.

Hadi Stiel ist freier Journalist in Camberg.