VW- Prozeßleitsystem als hierarchischer Rechnerverbund

100 000 Meßwerte pro Sekunde

30.05.1975

Die Verkürzung der Entwicklungszeit neuer Automodelle und die Steigerung der Qualität ist der Zweck eines von den Volkswagenwerken im Laufe von acht Jahren entwickelten Prozeßleitsystems (PLS) aus einem Großrechner, sechs Prozeßrechnern, umfangreicher Prozeßperipherie und 78 Prüfständen.

WOLFSBURG- Mit dem VW- PLS- Rechnerverbund sollen die Daten von 78 Prüfständen automatisch und kontinuierlich aufgezeichnet und ausgewertet werden. Angeschlossen sind (...)rüfstände für Motoren, Getriebe und Abgase. Meßstände für Gebläse, Scheibenwischermotoren und Akustikmessungen ergänzen das Spektrum der unter PLS betriebenen Einrichtungen. Realisiert wurde das gesamte System mit Rechnern der Firma Control Data Corp. Zentraler Rechner ist eine CD 6500. Angehängt sind sechs CD 1700 Prozeßrechner und CDC- Endeinrichtungen für analoge und digitale Messungen(CD 1500).

Beim VW- PLS- System steht die Prozeßdatenerfassung und ihre Auswertung im Vordergrund. Andererseits ist es möglich, daß der Großrechner Sollwerte an die sechs Prüfstandsrechner vorgibt und Versuchsabläufe steuert und überwacht. Auch bei schwieriger Parametervariation liegen Versuchsergebnisse schon kurze Zeit nach dem Testende als Plotter-Diagramme vor. Die Versuchsobjekte sind Motoren Wellen, Lager, Federungen etc., alle Versuche sind innerhalb von bekannten Fehlerwahrscheinlichkeiten jederzeit reproduzierbar.

18 000 Kanäle

Die Peripherierechner sammeln Daten aus den Prüfständen und geben sie an den Zentralrechner weiter. Insgesamt gestattet das System den Anschluß von 2150 analogen und etwa 16 000 digitalen Kanälen. Die Zahl der Meßwerte, die aufgenommen und sortiert werden können, beträgt bei Kurzzeitversuchen bis zu 100 000 pro Sekunde. Bei der Versuchssteuerung können bis zu 4000 Signale in der Sekunde an die Prüfstände übertragen werden. 200 Meßkanäle werden bis zu 128mal in einer Sekunde daraufhin überwacht, ob bestimmte kritische Werte über- oder unterschritten werden. Bei Eintritt kritischer Ereignisse kann der Rechner für den Abbruch des Versuches sorgen, um Zerstörung oder Beschädigung zu verhindern oder er kann kurzzeitig die Abfragerate wesentlich erhöhen, um die Ereignisse unmittelbar vor und während der zu erwartenden Zerstörung eines Prüfobjektes aufzuzeichnen.

Warum Verbundsystem?

Überraschend ist die Entscheidung für einen Rechnerverbund. So ist zunächst nicht einzusehen, warum die getrennt voneinander laufenden Versuchsanlagen und Prüfstände einen Verbund erfordern würden. Die Argumente für ein Verbundsystem sind aber bei VW:

- ein zentrales System ist besser ausgelastet, da im Echtzeitbetrieb nicht genutzte Kapazität der Stapelverarbeitung zufällt. Bei Einzwecksystemen bleiben die Rechner während der Rüst- und Stillstandzeiten der Versuchsanlagen ungenutzt.

- die Kapazitäten lassen sich beliebig auf verschiedene Versuche verteilen.

kostenintensive Ein/Ausgabegeräte und Massenspeicher werden nur einmal an zentraler Stelle benötigt.

- der Raumbedarf mit Klimatisierung und der Aufwand für den Schutz gegen aggressive Gase und Dämpfe, und den Schutz gegen elektrische Felder und mechanische Schwingungen wären bei Einzwecksystemen überproportional hoch.

- die Standardisierung von Programmierung, Ausbildung und Dokumentation ist nur bei einem zentralen System einfacher.

Die meisten Punkte für CDC

Um das Groß- Projekt hatten sich acht Hersteller- Firmen beworben. Die wesentlichen Beurteilungskriterien für die Angebote wurden in einer Matrix zusammengestellt und mit einer gewichtigen Punktzahl versehen. Die höchste Punktzahl erreichte die Control Data Corp. Der Vertrag mit der Firma über die Lieferung des gesamten PLS- Systems kam 1970 zustande. Vier Jahre Vorbereitung mit Systemanalyse, Formulierung der Aufgabenstellung eines PLS und Auswahlentscheidung waren dem Vertragsabschluß mit CDC vorausgegangen. An Systemanalyse und Planung arbeiteten zunächst nur vier bis sechs Mitarbeiter mit beratender Zuarbeit aus den zukünftigen Anwenderbereichen. Erst nach der Vorstandsentscheidung für die Realisierung des Systems begann der Aufbau einer Projektmannschaft, die 1973 auf einen Stand von 60 Mitarbeitern gebracht wurde. Gegenwärtig arbeiten 25 Systemprogrammierer, Operateure und Locherinnen auf der Rechnerseite und 20 Mitarbeiter auf der Anwenderseite am PLS- Prospekt. Alle anwenderbezogenen Programme sind in Fortran IV geschrieben. Die Mensch-Maschine- Kommunikation gewährleistet das Systemmodul gleichen Namens. Mit ihm werden sowohl die Bildschirmgeräte als auch Prüfstandfernschreiber gesteuert. Spezielle für das PLS geschaffene Informationsübersichten für die Hauptkonsole sowie für zusätzliche vorhandene Bildschirmgeräte erlauben die dynamische Anzeige aller wichtigen Job- und Systemaktivitäten.