Kein Standard für Kupferkabel vorgesehen

10-Gigabit-Ethernet durchbricht Schallmauer zum WAN

25.05.2001
MÜNCHEN (sra) - Mit 10-Gigabit-Ethernet (10GE) sprengt die Ethernet-Technologie ihre Fesseln. Zum ersten Mal in der Geschichte hat sich das zuständige Standardisierungsgremium entschlossen, die Technik WAN-tauglich zu machen. Das hat Konsequenzen: Die Zeiten, in denen man die schnellste Ethernet-Variante auch auf Kupferkabeln betreiben konnte, sind jetzt endgültig vorbei.

In erster Linie gedacht für Metropolitan Area Networks (MANs), gibt es eine Fülle weiterer Anwendungsmöglichkeiten für die kommende, superschnelle Ethernet-Spielart: Die Palette reicht von Server-Clustern und Speichernetzen über Web-Rechenzentren bis hin zu großen Unternehmen. Bis die Technik in Firmen Einzug hält, geht allerdings noch etwas Zeit ins Land. "Für die großen Unternehmen wird 10GE in eineinhalb Jahren interessant, für mittelgroße erst in drei Jahren", schätzt Petra Borowka, Netzwerkspezialistin bei der Unternehmensberatung UBN Netzwerke aus Aachen. Der Bedarf resultiert ihrer Meinung nach aus der Vielzahl von Gigabit-Leitungen, die in großen Firmen zu den Servern hin und von den Gebäuden nach draußen laufen.

Doch bevor die Ethernet-Frames über Firmennetze jagen, muss der Standard 802.3ae noch fertiggestellt und verabschiedet werden. Heiko Rössel, Inhaber des Ingenieurbüros Röwaplan in Abtsgmünd, rechnet damit im Sommer 2002. Er ist zuversichtlich, dass der Termin eingehalten wird: "Die Ethernet-Gemeinde ist nicht so zerstritten. Die ziehen alle an einem Strang", begründet er seinen Optimismus. Erste Produkte existierten schon, sie seien allerdings proprietär, fügt er hinzu. Nach Angaben von Hans Lackner, Geschäftsführer der Qoscom in Stutensee und stimmberechtigtes Mitglied bei IEEE 802.3, wird der Standard intern im Juli dieses Jahres verabschiedet, so dass danach nur noch marginale Änderungen zu erwarten sind.

Anwender können beruhigt sein: Ethernet bleibt Ethernet - Investitionssicherheit ist im Prinzipgegeben. 10GE verfügt über die selben minimalen (64 Bytes) und maximalen (1518 Bytes) Frame-Längen und die gleichen Frame-Formate wie die Vorgängertechniken. Auch die übertragenen Verkehrstypen ändern sich nicht. Laut Bruce Tolley, einem Cisco-Manager und Vice President der 10-GE-Allianz, lässt sich nach wie vor auch Telefonverkehr transportieren.

Keine eingebaute QoSNicht in der Spezifikation enthalten werden allerdings - im Unterschied zu ATM - eigenständige Quality-of-Service-(QoS-)Möglichkeiten sein. Netzverwaltern steht es jedoch frei, existierende QoS-Eigenschaften wie Diffserv über 10GE zu nutzen.

Anders als seine Vorläufer dürfte das ultraschnelle Ethernet aber auch das WAN erobern. Bisher war Ethernet eine lokale Technologie. 90 Prozent der LANs basieren heute darauf. Im WAN sieht es anders aus: "Bis 100 Mbit/s gibt es gar kein Ethernet im WAN. Mit Gigabit Ethernet fing es vorsichtig an. Doch 10GE zielt ganz klar in Richtung WAN", fasst Lackner zusammen, der am IEEE-Standard 802.3ae für 10GE mitarbeitet.

Zu den Vorhaben des Standardisierungsgremiums gehört sowohl ein LAN- als auch ein WAN-Interface. Der Clou: Das LAN-Interface arbeitet mit 10 Gbit/s und das WAN-Interface mit OC 192 - das ist der Sonet-Standard, der 9,58464 Gbit/s überträgt. Das hat zwei Konsequenzen: Der Geschwindigkeitsunterschied zwischen LAN und WAN muss gepuffert werden. "Das können LAN-Switches ohnehin", argumentiert Petra Borowka. "Die puffern ja auch zwischen 100 Mbit/s und 1 Gbit/s. Warum also nicht zwischen 9,6 und 10 Gbit/s?" Diese kleine Unbequemlichkeit rechtfertigt sich durch einen großen Vorteil: Infolge der OC192-Geschwindigkeit zum WAN lassen sich eins zu eins Systeme anflanschen, die Packet over Sonet oder ATM nutzen. Borowka hält das für einen genialen Schachzug: "Es ist ein Schritt hin zum Austausch von ATM gegen 10GE in den Kernnetzen der Carrier."

Manche Unterschiede zwischen LAN und WAN sind weniger technischer Natur. In lokalen Netzen trägt in der Regel der Arbeitgeber die Kosten für das Netz, das heißt die Nutzer werden vom Netzbetreiber bezahlt. "Das sind überwiegend freundliche Benutzer", folgert Lackner. "Im WAN-Bereich ist das umgekehrt: Da zahlt der Nutzer den Netzbetreiber. Und deswegen erwartet der Nutzer Dienste, die sicher sind." Bis 10GE den neuen Sicherheitsanforderungen genügt, wird noch einige Zeit vergehen. Lackner zweifelt jedoch nicht daran, dass sich die Technologie weiterhin durchsetzen wird.

Notwendig dafür ist allerdings, dass sie eine größere Reichweite als Gigabit Ethernet bietet. Letztere ist auf fünf Kilometer begrenzt. Für 10GE hat die IEEE Interfaces definiert, die die Wellenlängen 850, 1310 und 1550 Nanometer verwenden.

Diese stellen eine große Abweichung gegenüber vorherigen Ethernet-Standards dar: Fast Ethernet basierte auf derselben Codierung der physikalischen Netzebene wie FDDI, während Gigabit Ethernet diese von Fibre Channel übernommen hatte. Bei 10GE sind sämtliche Interfaces neu. Sie verfügen alle über unterschiedliche Reichweiten und Einsatzgebiete. Das wirkt sich auch auf die Verkabelung aus.

Für Kupferkabel war Ethernet bisher immer definiert, doch 10GE schlägt aus der Reihe: Für 10GE gibt es keinen Kupferstandard mehr. Anwender könnten also gezwungen sein, Glasfaser einzusetzen. "Das ist aber kaum eine Einschränkung, denn schon Gigabit Ethernet nutzt sehr intensiv Glasfaser", argumentiert Lackner. Aber auch bei den Glasfasertypen existieren Unterschiede. Im LAN fällt die Wahl wahrscheinlich auf Multimode.

"Im Gelände kann man keine Multimode-Fasern mehr verwenden", schildert Borowka die Konsequenzen der Spezifikation. "Mit einer Reichweite von 300 Metern ist der Multimode-Standard allenfalls für den RZ-Bereich interessant, um Server anzubinden." Das bedeutet: Wer standardkompatibel auf 10GE migrieren möchte, muss Monomodefasern verlegen. Im Grunde genommen braucht man das aber für höhere ATM-Geschwindigkeiten genauso."Wenn Sie jetzt ein Gelände haben, wo nur Multimode liegt, dann ist das dumm gelaufen", weist die Beraterin auf den Pferdefuß hin.

Kritiker sehen auch Schwierigkeiten beim Management der gigantischen Datenmengen. Um mit 10GE Schritt zu halten, müssen Management- und Monitoring-Systeme unbedingt über 64-Bit-Zähler verfügen. 32-Bit-Zähler, wie sie noch in vielen Tools vorhanden sind, laufen über, wenn sie ihre Grenze erreicht haben - das heißt, sie beginnen wieder bei Null zu zählen. "Die Schwierigkeiten gab es aber schon bei Gigabit Ethernet", hält Petra Borowka entgegen. Da habe man schon angefangen, 64-Bit-Zähler zu definieren. Nach Meinung der Beraterin sollten diese auch für 10GE ausreichen.

Engpässe beseitigenDie Zielrichtung der Technologie ist, Bandbreite zur Verfügung zu stellen. Auch im LAN lassen sich Engpässe auf diese Weise einfach beseitigen. Dabei müssen Anwender darauf achten, dass die Backplanes der Switches und Router überhaupt den zehnfachen Durchsatz verkraften. Besonders bei Geräten, die mindestens vier Jahre alt sind, treten Borowka zufolge solche Probleme auf. Sie haben oft eine Backplane mit etwa 25 Gbit/s, die maximal zwei 10-Gbit/s-Schnittstellen versorgen kann.

"Wenn man heute Video machen will, mangelt es oft an Bandbreite im Backbone, die wird durch 10GE angeboten", schildert Lackner ein Beispiel. Es gehe nicht um eine einzelne Applikation, sondern um die Aggregation vieler Anwendungen. Selbst eine einzelne TV-Anwendung benötige maximal 30 Mbit/s. "Aber wenn 1000 oder 100000 Leute Bayern München über solche Mechanismen sehen wollen, dann braucht man eben erhebliche Bandbreiten."

Am wichtigsten wird 10GE jedoch in MANs und WANs werden. Die Komponenten sind nach Angaben von Extreme Networks erheblich billiger als vergleichbare Ausrüstung für Sonet. Marshall Eisenberg, Director für Marketing bei Foundry Networks, erwartet zudem einen kräftigen Schub für das Outsourcing der IT-Infrastruktur, zumal die Verbindung zum Provider nicht länger als Flaschenhals gilt.

10-Gigabit-Ethernet- Minimale Frame-Länge: 64 Byte,

- maximale Frame-Länge: 1518 Byte,

- keine eingebaute Quality-of-Service,

- nur Full Duplex, keine Autonegotiation,

- LAN-Interface mit 10 Gbit/s,

- WAN-Interface mit 9,58464 Gbit/s (OC 192 für Sonet),

- kein Kupferstandard mehr,

- Reichweite für Multimode-Fasern: 300 Meter,

- Reichweite für Monomode-Fasern: zehn bis maximal 40 Kilometer.