MS-DOS-Speicher bereitet Lotus-Entwicklern Schwierigkeiten:

1-2-3 Release 3.0 läßt auf sich warten

04.11.1988

CAMBRIDGE/MASS. (IDG) - Auf eine harte Geduldsprobe stellt Lotus die Interessenten seines seit April 1987 angekündigten 1-2-3 Release 3.0. Befürchtungen, den Kunden könnte nach der neuerlichen Verschiebung auf Mitte 1988 der Geduldsfaden reißen, hegt man bei Lotus kaum. Durchhalteparolen und Upgrades sollen die Wartenden bei Laune halten.

Mit dem Hinweis, das Ausharren auf das Release 3.0 lohne sich schon allein wegen dessen Vielseitigkeit, versucht der Lotus-Vorsitzende Jim Manzi die Schar der Geduldigen möglichst groß zu halten. Allerdings verliert der Versuch, die angekündigte Version schmackhaft zu machen, beständig an Wirkung. Die Front der 1-2-3 Release 3.0-Willigen beginnt langsam abzubröckeln.

Abgesprungen ist beispielsweise Frank Diasparra, Vizepräsident der Fidelity Investments in Boston. Er macht seinem Ärger Luft: "Wir sind es leid, uns immer wieder hinhalten zu lassen. Wir werden nicht länger auf das Release warten." Diasparra fährt jetzt zweigleisig. Er kauft zwar noch die derzeit gängige 1-2-3-Version, stellt aber gleichzeitig einen Teil des Unternehmens auf Excel von Microsoft um.

So wie Diasparra denken mittlerweile viele. Sie bringen wenig Verständnis für die Gründe der Verzögerung auf, die Frank King, Vizepräsident der Software Products Group, nennt: King zufolge konnte die Marktreife bis jetzt nicht erreicht werden, da noch zu viele Fehler in dem 339 000 Zeilen langen Programm stecken, die auf die Schnelle nicht auszumerzen seien.

Kopfzerbrechen machen den Entwicklern aber weniger die kleinen Fehler, als vielmehr der geringe MS-DOS-Arbeitsspeicher mit 640 KB. Laut King sei es jetzt zwar gelungen, das Produkt auf das Betriebssystem von Microsoft abzustimmen, doch bereite die Kapazität des Arbeitsspeichers noch Probleme. Derzeit, so King, konvertiere Lotus fünf bis acht Prozent der Software von C in Assembler, um die Leistung zu verbessern und Speicherraum zu gewinnen.

Unterdessen hat, das Hickhack um die DOS-Tauglichkeit des Release kaum zur Beruhigung der Interessenten beigetragen.

Das Gerücht, die Version 1-2-3 3.0 könne nur mit einem Prozessor 80286 voll genutzt werden, hat zu Zweifeln an dem Lotus-Produkt geführt. Dazu Jeffrey Knepper, Direktor des Beratungsunternehmens Touche Ross & Co: "Diese Situation zwingt uns, ernsthaft über andere Software nachzudenken." Laut Knepper sei Touche Ross noch nicht ins Excel-Lager gewechselt, weil die Umrüstung eines jeden PCs rund 1000 Dollar koste.

Um die Probleme Abwanderung und sinkende Verkaufzahlen für 1-2-3 in den Griff zu verhindern, versucht Lotus nun zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Die Unternehmensführung sagt jedem Kunden, der jetzt Lotus 1-2-3 kauft, ein kostenloses Upgrade auf den Stand von Release 3.0 zu. Von Herstellerseite wurde auch bestätigen daß Lotus vor dem Erscheinen des Release noch eine verbesserte Version der derzeit aktuellen 1-2-3-Ausgabe 2.01 auf den Markt bringen wird.

Ungeduldig auf das Release 3.0 warten jedoch nicht nur die Anwender in spe, sondern auch mehrere Unternehmen, die bereits Folge-Produkte für das Release entwickelt haben. So zum Beispiel IBM mit 1-2-3/M für Mainframes von Big Blue und Apple mit 1-2-3/Mac für seinen Macintosh sowie 1-2-3/Unix für Workstations.