0900 - Schluss mit der 0190-Abzocke?

30.09.2005
Mit der neuen kostenpflichtigen Servicerufnummer 0900 soll sowohl der Verbraucherschutz erhöht als auch den Anbietern mehr Freiraum gegeben werden.

"0190-XXX, ruf mich an die ganze Nacht" - solche Telefonsex-Angebote und der Missbrauch der 0190-Rufnummern durch die Dialer-Mafia trugen dazu bei, dass die kostenpflichtigen Mehrwertdienste-Nummern in Verruf gerieten. Eigentlich als nützliche Einrichtung gestartet, um etwa Verbraucherberatung, Rechtshilfe oder Kundendienstleistungen per Telefonrechnung abzurechnen, hatten die Nummern schnell das Image des Schmuddligen und Unseriösen.

Hier lesen Sie …

• wie die 0900-Nummern die in Verruf geratenen 0190-Nummern ablösen;

• was sich in Sachen Verbraucherschutz getan hat;

• welche neuen Business-Möglichkeiten die 0900 bietet;

• wie die Abrechnung funktioniert.

0900-Vorteile für Verbraucher

• Mehr Transparenz;

• Anbieter muss in Deutschland sitzen;

• mehr Wettbewerb beim Preis;

• verbesserter Verbraucherschutz, da der Serviceanbieter namentlich bekannt ist;

• Netzbetreiber kann bei strittigen Forderungen den Anschluss nicht mehr einfach sperren.

0900-Vorteile für Unternehmen

• Diskriminierungsfreie Vergabe, da keine 1000er Blöcke abgenommen werden müssen;

• flexible Preisgestaltung bringt mehr Wettbewerb und Differenzierung;

• Möglichkeit, neue Services anzubieten (flexible Hotline-Tarifierung, Micro-Payment);

• Serviceanbieter erhalten prozentual mehr vom 0900-Umsatz;

• seriöse Anbieter müssen nicht mehr für schwarze Schafe büßen;

• eigene Rechnungsstellung und damit direktere Kundenbeziehung möglich.

Schwarze Schafe haben das Nachsehen

Mit der Einführung der 0900-Nummer beginnen für unseriöse Serviceanbieter im Festnetz harte Zeiten: Sie erhalten nicht mehr automatisch von den Carriern vorab für den Anruf ihrer Nummer Geld überwiesen, sondern müssen die Rechtmäßigkeit ihrer Forderung beweisen. Bis Anfang des Jahres wurden allen Anbietern pauschal acht Prozent (4,5 Prozent für Rechnungserstellung, 3,5 Prozent für Ausfallrisiko) von den 0190-Gebühren abgezogen. Stellte ein Netzbetreiber später fest, dass ein 0190-Serviceanbieter eine höhere Ausfallquote hatte, weil etwa 50 Prozent der Kunden die Forderung reklamierten und nicht bezahlten, so blieb er auf seinen Kosten sitzen. Denn er hatte ja bereits vorab den Betrag an den Anbieter überwiesen. Und dieser lachte sich, so er zu den schwarzen Schafen gehörte, ins Fäustchen, da er sich bereits in eines der bekannten Steuerparadiese abgesetzt hatte. Eine Masche, die so erfolgreich gewesen sein soll, dass teilweise Wohnungen angemietet wurden, nur um für ein bis zwei Monate einen 0190-Anschluss zu betreiben.

Mehr zum Thema

www.computerwoche.de/go/

*80092: Verbindungsnetzbetreiber darf Telefonkunden nicht zur Kasse bitten;

*77307: Handy-Payment - die Dialer-Branche rüstet auf;

*61053: Sanktionen gegen Rufnummernmissbrauch.

Stichtag 31. Dezember

Damit soll nun zum 31. Dezember 2005 endgültig Schluss sein. Zu diesem Termin werden die alten 0190-Telefonnummern abgeschaltet, und gebührenpflichtige Dienste können nur noch über die 0900-Nummern erreicht werden. Mit den neuen Rufnummern soll unter anderem der Verbraucherschutz erhöht werden. Auf der anderen Seite erhalten die Serviceanbieter zusätzliche Möglichkeiten, um etwa Content, wie News-Artikel auf Web-Seiten, einfacher abzurechnen oder mit frei kalkulierbaren Preisen - natürlich in gesetzlichen Grenzen - zielgruppenspezifische Angebote zu offerieren. Beides soll dazu führen, dass der Markt für Mehrwertdienste, der derzeit auf 800 Millionen Euro geschätzt wird, weiter wächst.

Unter Verbraucherschutzaspekten sind die neuen Rufnummern deshalb interessant, weil ein Serviceanbieter die Nummer nun direkt von der Bundesnetzagentur erhält und hierzu eine gerichtlich ladungsfähige Adresse in Deutschland besitzen muss. Er kann sich also nicht mehr wie in der 0190-Vergangenheit hinter einem mit der Abwicklung betrauten Carrier oder Service-Provider verstecken und seinen Firmensitz auf die Bahamas oder in andere Länder verlegen. Der Kunde erfährt auf der Rechnung ganz klar, wer der Anbieter eines kostenpflichtigen Dienstes ist, und sieht nicht nur wie bisher den Namen des Netzbetreibers. Hat ein Anbieter keine ladungsfähige Adresse in Deutschland, so muss der Kunde nicht bezahlen. Gleichzeitig wurde dem Verbraucher im Streitfall der Rücken gestärkt: Zahlt er nicht, weil er die verbuchte Leistung nicht genutzt hat (oder haben will), so ist ein Teilnehmernetzbetreiber (TNB) wie die Telekom nicht mehr zum rigorosen Eintreiben der offenen Forderungen verpflichtet. In der Vergangenheit hatte dies immer wieder für Ärger gesorgt, da die TNBs den Kunden im Zweifelsfall bei offenen Forderungen einfach den Anschluss sperrten. Ferner ist jetzt eine Preisansage zwingend vorgeschrieben und der Minutenpreis auf zwei Euro begrenzt, sieht man einmal von der Eventcharge ab, die einmalig bis zu 30 Euro betragen darf und eine pauschale Abrechnung eines Anrufs ohne Minutentarifierung ermöglicht.

Auf der anderen Seite eröffnen die 0900-Nummern neuen Anbietern die Chance auf einen diskriminierungsfreien Marktzutritt. Im Gegensatz zu den alten 0190ern werden die neuen Nummern nicht mehr in 1000er Blöcken, sondern einzeln vergeben. Die alte Vergabepraxis hatte dazu geführt, dass die mächtigen Carrier überproportional viele Nummern erhielten und die Serviceanbieter von diesen Branchengrößen abhängig waren. Zudem zahlen die Anbieter an die Netzbetreiber künftig nur noch die reine Transportleistung (vergleichbar mit den Interconncetion-Tarifen), so dass sie 85 bis 90 Prozent des 0900-Umsatzes selbst behalten können. "Dies hängt davon ab, ob der Serviceanbieter Billing, Mahnwesen etc. in eigener Regie betreibt oder einen Carrier damit beauftragt", erklärt Ludger Arnoldi, Manager bei BT Deutschland.

Neue Business-Möglichkeiten

Gleichzeitig ermöglichen die 0900-Nummern den Anbietern einen freien Preiswettbewerb, da sie nicht mehr wie bei der 0190 an feste Preisgassen gebunden sind. Zudem hat etwa eine kostenpflichtige Hotline die Möglichkeit, während eines Gesprächs die Gebühren zu erhöhen, wenn der Anrufer beispielsweise vom allgemeinen First-Level-Support zu den Experten des Second-Level-Supports durchgestellt wird. Umgekehrt ist es aber auch möglich, für den Anrufer eine Gutschrift zu erstellen, wenn etwa seine Reklamation berechtigt war und er nicht nur zu faul war, das Handbuch zu lesen.

Ein anderes Beispielszenario wäre, dass ein Verlag seinen Lesern im Internet jeden fünften Artikel kostenlos anbietet und hierfür nachträglich eine Gutschrift veranlasst. Denn die neuen 0900-Nummern eignen sich auch als Alternative zu bisherigen Micro-Payment-Verfahren wie Firstgate. Für den Kunden haben sie den Vorteil, dass er sich nirgends registrieren muss. Praktisch könnte dies so aussehen, dass der Leser bei einem kostenpflichtigen Artikel den Hinweis auf eine 0900-Telefonnummer sowie einen Zahlencode erhält. Zur Freischaltung des Artikels ruft er die Nummer an und gibt dann den Code per Telefon ein. Ähnliche Verfahren sind etwa für Video on Demand denkbar. Grundsätzlich kann mit den 0900-Rufnummern alles abgerechnet werden, was mit Content zu tun hat. Nach Ansicht einiger Branchenkenner ist auch die Bezahlung von Warensendungen denkbar.

Um die Forderungen nach mehr Verbraucherschutz und gleichzeitig mehr Flexibilität für die Serviceanbieter zu realisieren, ändert sich mit der 0900-Einführung das Abrechnungssystem für Mehrwertdienste grundlegend. Während der 0190-Dienst im Online-Billing berechnet wurde, also der Teilnehmernetzbetreiber die Verantwortung für das Eintreiben der Forderung des Serviceanbieters trug und an diesen quasi automatisch vorab zahlte, erfolgt nun ein Offline-Billing. Bei dieser Variante wird der Serviceanbieter selbst zum Forderungsinhaber und muss seine Anforderung über den Netzbetreiber beim Endkunden geltend machen. Gleichzeitig muss er gegenüber dem Netzbetreiber die Höhe seiner Forderung anhand von elektronischen Tickets belegen, denn im Gegensatz zur früheren 0190-Nummer ist der Tarif ja nicht mehr anhand der Ziffernfolge der Rufnummer erkennbar.

Finanzielle Konsequenzen

Was auf dem Papier auf den ersten Blick nach einem rein technischen Problem aussieht, hat in der Praxis sowohl juristische als auch buchhalterische Konsequenzen. Buchhalterisch, weil die Netzbetreiber nun die 0900-Forderungen nicht mehr zu fast 100 Prozent als eigenen Umsatz ausweisen können wie in der 0190-Vergangenheit, sondern nur noch ihre eigentliche Transportleistung. Und diese liegt im Cent-Bereich. Ein Insider verdeutlicht die bisherige Praxis an einem Beispiel aus dem Güterverkehr: Hätte ein Spediteur Waren im Wert von 500000 Euro für 1000 Euro von A nach B im Rahmen der 0190-Regelung transportiert, dann hätte er einen Umsatz von 501000 Euro ausweisen können. Bei den 0900-Nummern kann der Spediteur, sprich Carrier, nur noch die reine Transportleistung, also 1000 Euro, als Umsatz angeben. TK-Experten gehen deshalb davon aus, dass es 2006 nach der Einführung der 0900-Nummern an der Börse bei einigen TK-Werten ein böses Erwachen geben wird, wenn die Telefongesellschaften plötzlich einen deutlich niedrigeren Umsatz ausweisen. Böse Zungen spekulieren bereits darüber, dass zwei bis drei Netzbetreiber wohl zwei Drittel ihres Umsatzes einbüßen werden und ihr Börsenwert entsprechend abrutscht. Andere Kritiker argwöhnen gar, dass die Umsatzzahlen der deutschen Carrier mit Hilfe der 0190-Nummern oftmals aufgeppt wurden.

Dies, so munkelt die TK-Branche, dürfte denn auch der wahre Grund dafür sein, warum etliche Beteiligte noch in letzter Minute versuchten, bei der Bundesnetzagentur die 0190-Abschaltung zum 31. Januar zu verhindern. Die Begründung, dass mit der Einführung des Offline-Billings eine Interconnection-Hölle drohe, halten die Insider dagegen für vorgeschoben, zumal die Pläne seit rund vier Jahren bekannt sind.

Das Abrechnungsverfahren

Zur Ehrenrettung der Beschwerdeführer muss allerdings angeführt werden, dass die Abrechnung im Offline-Billing in der Tat nicht ganz trivial ist. Um seine Forderung zu erheben, muss ein Serviceanbieter mit jedem Teilnehmernetzbetreiber einen entsprechenden Einzelvertrag abschließen und Schnittstellen definieren, um die entsprechenden Beleg-Tickets für die erbrachte Serviceleistung auszutauschen. Zudem sind Abkommen zwischen den Teilnehmernetzbetreibern, bei denen der Endkunde seinen Telefonanschluss hat, und den Verbindungsbetreibern zur Abrechnung der Transportleistungen notwendig. "Ein Konstrukt, das schnell zu 4000 Vertragsbeziehungen führt", rechnet BT-Manager Arnoldi vor. Das hier drohende Vertragschaos und die Gefahr, dass dieses Wirrwarr womöglich neue Serviceanbieter vom Markteintritt abhält, brachte große Carrier wie die Telekom oder BT auf eine neue Geschäftsidee: Sie agieren als Transit- und Clearing-Plattform für die Serviceanbieter, Teilnehmer- und Verbindungsnetzbetreiber. Nutzt beispielsweise ein City-Carrier als Teilnehmernetzbetreiber den "0900-Handover"-Service von BT, so schließt er nur einen Vertrag mit dem Carrier. Dieser unterhält dann die Vertragsbeziehungen zu Akteuren.

In umgekehrter Richtung ist die Idee der 0900-Clearing-Häuser auch für die Serviceanbieter interessant. Sie können sich auf die Erbringung ihres Mehrwertdienstes konzentrieren, während sie beispielsweise Abrechnung, Mahnwesen und eventuelles Inkasso outsourcen. Je nach Tiefe der in Anspruch genommenen Serviceleistung und der zu bezahlenden Transportleistung bleiben für den Serviceanbieter dann 85 bis 90 Prozent der 0900-Gebühren.

Bis hierher kann das komplizierte 0900-Konstrukt durchaus als guter Kompromiss zwischen mehr Verbraucherschutz und neuen Business-Möglichkeiten für seriöse Serviceanbieter gelten. Doch leider haben die Initiatoren der 0900-Nummern für die Mobilfunker eine Hintertür offen gehalten: Sie dürfen weiterhin im Online-Billing abrechnen.