Office 2007 öffnet ein neues Kapitel

10.05.2007
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Wolfgang Miedl arbeitet Autor und Berater mit Schwerpunkt IT und Business. Daneben publiziert er auf der Website Sharepoint360.de regelmäßig rund um Microsoft SharePoint, Office und Social Collaboration.
Weil sich heutige komplexe Anwendungen nicht mehr in das simple Menü- und Toolbar-Schema pressen lassen, versucht Microsoft mit der Office-2007-Oberfläche einen radikalen Neuanfang.

Microsoft Office genießt einen zwiespältigen Ruf: Einerseits setzt die marktführende Office-Suite seit den 90er Jahren Maßstäbe in Sachen Funktionsumfang und Bedienung, auf der anderen Seite häuften sich spätestens seit Office 97 die Klagen über eine überbordende, nicht mehr zu beherrschende Funktionsfülle.

Einen guten Einblick in die Explosion der Programmfeatures liefert einer der Verantwortlichen selbst: Jensen Harris, der als Chef der Usability-Gruppe bei Microsoft für die Gestaltung des Benutzeroberfläche (UI) verantwortlich zeichnet, hat auf seinem Weblog die Geschichte der wuchernden Features von Microsoft Office nachgezeichnet, um damit gleichzeitig die Motive für die Entwicklung der neuartigen Office-2007-GUI (GUI = Graphical User Interface) zu erläutern.

273 Menübefehle in Word 2003

Der Wildwuchs an Funktionen beispielsweise lässt sich am Besten an der Zunahme der Menü- und Untermenüpunkte ablesen. Lag deren Zahl bei Winword 1.0 (1989) noch bei 50, so umfasste Word 2003 schließlich etwa 270 klickbare Menüpunkte. Auch die Zahl der Symbolleisten steigerte sich beständig – von zwei Stück in Winword 1.0 ("Standard" und "Formatierung") über 18 in Word 97 bis auf 30 in Word 2003. Das Komplexitätsproblem blieb natürlich auch den Microsoft-Entwicklern nicht verborgen und so ersannen sie im Lauf der Zeit immer wieder neue Methoden, um den Anwendern die Navigation in den Menü-Labyrinthen zu erleichtern.

Karl Klammer wurde aus dem Verkehr gezogen

Office 97 kam gleich mit mehreren Mechanismen, die die Arbeit vereinfachen sollten. So konnte man erstmals die Symbolleisten abdocken und frei platzieren, das Kontextmenü (rechter Mausklick) sollte unmittelbar am Mauscursor situationsbezogene Funktionen bereitstellen und zudem lagerte man erstmals Befehle in Untermenüs aus. Zu zweifelhafter Berühmtheit brachte es der damals ebenfalls eingeführte intelligente Assistent "Karl Klammer". Die meisten Benutzer suchten früher der später den Schalter zum Deaktivieren und auch bei Microsoft fiel der gutgemeinte Dienstbote bald in Ungnade. Ab 2002 musste er manuell aktiviert werden, bevor er nun in Version 2007 endgültig aus dem Verkehr gezogen wurde.

Mehr lästig als hilfreich empfanden die meisten Anwender auch die in Office 2000 eingeführten automatisch verkürzten Menüs. Kurze Menüs kaschieren lediglich die dahintersteckende Funktionsflut und bescheren den Benutzern viele zusätzliche Mausklicks während der Suche nach den versteckten Funktionen. Als neue Idee kamen mit Office XP/2002 die vertikalen, rechts angedockten Aufgabenleisten hinzu. Laut Harris handelte es sich dabei um einen letzten, zum Scheitern verurteilten Versuch, eine hochkomplexe Software wie Office in ein nicht mehr zeitgemäßes Paradigma des UI-Designs zu zwängen.

Bedienelemente 2007

  • Multifunktionsleiste: Der große rechteckige Bereich über dem Dokument wird als Multifunktionsleiste bezeichnet. Sie enthält die Titelleiste, die Office-Schaltfläche, die Schnellzugriffs-Symbolleiste und die Registerkarten. RibbonX bezieht sich hauptsächlich auf die Multifunktionsleiste und alles, was sich darin befindet.

  • Office-Schaltfläche Diese Schaltfläche ruft das Office-Menü auf, das etwa dem Dateimenü in früheren Office-Versionen entspricht. Das Office-Menü enthält Befehle, die sich auf Dokumente auswirken und nicht so sehr auf den Inhalt von Dokumenten. RibbonX-Add-Ins können den Inhalt des Office-Menüs frei verändern (obwohl sie die Office-Schaltfläche selbst nicht anpassen können).

  • Schnellzugriffs-Symbolleiste Diese Symbolleiste enthält häufig verwendete Befehle und ist der Hauptbereich, in dem Endbenutzer Anpassungen vornehmen können. Benutzer können mit der rechten Maustaste auf ein beliebiges Steuerelement der Multifunktionsleiste klicken und es der Schnellzugriffs-Symbolleiste hinzufügen (einschließlich benutzerdefinierter RibbonX-Steuerelemente). Da dies der Bereich ist, der dem Endbenutzer "gehört", dürfen RibbonX-Add-Ins normalerweise nicht die Schnellzugriffs-Symbolleiste verändern, es sei denn, dass der StartFromScratch-Modus aktiviert wurde.

  • Registerkarten Die Registerkarten bilden den Hauptinhalt der Multifunktionsleiste und enthalten Benutzeroberflächen-Steuerelemente, die sich auf den Inhalt des jeweiligen Dokuments auswirken. RibbonX-Add-Ins können eigene benutzerdefinierte Registerkarten erstellen und die Ansicht und Beschriftungen der integrierten Registerkarten ändern.

  • Kontextbezogene Registerkartensätze Bei Auswahl von Objekten wie z. B. Bildern oder Tabellen innerhalb des Dokuments werden kontextbezogene Registerkartensätze angezeigt, die alle Benutzeroberflächen-Elemente zur Handhabung dieser Objekte enthalten. Durch RibbonX-Add-Ins können die Ansicht von integrierten Registerkarten geändert und benutzerdefinierte Registerkarten hinzugefügt werden. Eine Funktion, die in Office 2007-Anwendungen nicht unterstützt wird, ist die Erstellung von benutzerdefinierten, kontextbezogenen Registerkartensätzen. Registerkartensätze enthalten kontextbezogene Registerkarten, die sich ansonsten genau wie normale Registerkarten verhalten.

  • Gruppen Registerkarten enthalten Sätze von Gruppen, die wiederum einzelne Benutzeroberflächen-Steuerelemente enthalten. RibbonX-Add-Ins können die Ansicht von integrierten Gruppen verändern und eigene benutzerdefinierte Gruppen erstellen. Allerdings können sie nicht den Inhalt integrierter Gruppen ändern. Diese Einschränkung schützt das Benutzeroberflächen-Layout und Add-Ins vor Konflikten miteinander und mit zukünftigen Versionen von Office. Optional haben Gruppen in der Ecke Dialogfelder-Startprogramme, die für die Gruppe relevante Dialoge anzeigen (z. B. die Schriftart- oder Absatzdialoge).

  • Aufgabenbereiche Es gibt auch bei Office 2007 noch mehrere Aufgabenbereiche, und jetzt ist es möglich, mehrere auf einmal zu öffnen. COM-Add-Ins können nun CustomTaskPanes erstellen, die Inhalt wie beispielsweise ActiveX-Steuerelemente oder Windows Forms-Steuerelemente hosten. (Die CustomTaskPane-Funktion unterscheidet sich von RibbonX und wird in diesem Artikel nicht behandelt).

  • MiniToolbar Die MiniToolbar ist eine Ansammlung von häufig verwendeten Formatierungsbefehlen, die über ausgewählten Texten und über Kontextmenüs für die rechte Maustaste angezeigt wird. RibbonX-Add-Ins können den Inhalt der MiniToolbar nicht ändern, aber sie können die integrierten Befehle deaktivieren oder für andere Zwecke verwenden.

  • Kontextmenüs Dies sind dieselben, mit rechtem Mausklick aufrufbaren Kontextmenüs, die wir alle aus früheren Office-Versionen kennen und zu schätzen wissen. In Office 2007 wird RibbonX nicht für Kontextmenüs angewendet, doch sie können wie in der Vergangenheit mit dem CommandBars-Objektmodell erweitert und angepasst werden.

  • Statusleiste Die Statusleiste enthält mehrere nützliche, neue Steuerelemente, wie z. B. "Wörter zählen" und "Schieberegler anzeigen". Die Statusleiste kann in Office 2007 nicht mit Add-Ins angepasst werden, aber sie kann ausgeblendet werden

Strategische Überlegungen in Redmond

In Word 2003 wurden Erweiterungen noch in die Menüleiste eingehängt ...
In Word 2003 wurden Erweiterungen noch in die Menüleiste eingehängt ...

In der Chefetage bei Microsoft hatte man diese Diagnose längst gestellt, doch umso schwerer war es zunächst, den richtigen Weg aus dieser Sackgasse zu finden. So diskutierte man etwa zeitweise die Einführung einer abgespeckten Version, verwarf die Idee aber wieder, weil man nicht an eine massentaugliche Untermenge an Funktionen glaubte. Eine weitere Überlegung war, Word & Co. in mehrere kleinere Anwendungen aufzusplitten. Dieser Weg schied aus, weil die meisten Microsoft-Kunden stets eine stärkere Integration der Produkte wünschten. Somit einigte man sich zu Beginn des Projekts Office 2007 darauf, eine völlig neu gestaltete Bedienoberfläche zu schaffen, die einerseits alle bestehenden Funktionen weiterhin unter einem Anwendungsdach vereinte, auf der anderen Seite aber über eine Gruppierung von Befehlen die Arbeit des Anwenders situationsbezogen unterstützte.

... während sich Entwickler von Add-ins unter Word 2007 ebenfalls an die neue Bedienleiste gewöhnen müssen.
... während sich Entwickler von Add-ins unter Word 2007 ebenfalls an die neue Bedienleiste gewöhnen müssen.

Wie aber sollte es nun gelingen, eine neue Office-Oberfläche zu schaffen, die tatsächlich einfacher zu bedienen ist als die zurückliegenden Varianten? Laut Harris bestand ein Problem bei allen Entwicklungsprojekten vor Office 2003 darin, dass ein kleiner Kreis von Entwicklern und Fachleuten darüber befand, wie Hunderte Millionen von Anwendern mit den Produkten arbeiten sollten. Schon während der Entwicklung der 2003er-Version reifte die Erkenntnis, dass eine grundlegende Verbesserung der Bedienerführung nur möglich sei, wenn man die Anwender im großen Umfang bei Ihrer Arbeit beobachten würde. Also integrierte man in Office 2003 ein Erhebungsmodul mitsamt einer Einladung zur freiwilligen Teilnahme an der Produktverbesserung. Willigte der Anwender ein, wurden von nun an in bestimmten Zeitintervallen anonymisierte Informationen über die Nutzung der Programmfunktionen via Internet an Microsoft gesendet und dort systematisch ausgewertet. Seit der Produkteinführung von Office 2003 wurden auf diese Weise 1,3 Milliarden Sitzungen aufgezeichnet.

Auf "Einfügen" wird am meisten geklickt

Anhand dieser Daten ließ sich übrigens auch jene populäre These widerlegen, wonach die meisten Office-Nutzer nur einen Bruchteil der angebotenen Funktionen verwenden. Zwar flacht die Kurve nach dem zehnten Rang extrem ab, aber der Nutzungsgrad von Platz 100 ("Änderung annehmen") unterscheidet sich prozentual im gleichen Maß von Platz 400 ("Bild zurücksetzen") ab wie Platz 1 von Platz 11 ("Fontgröße ändern").

Aufschlussreich war diese Erhebung auch hinsichtlich der Darbietung der populärsten Befehle. Ursprünglich sollten nämlich Kopieren, Einfügen und Ausschneiden aus der Multifunktionsleiste (Ribbon) verschwinden, weil angenommen wurde, dass Tastenkürzel wie Strg-C ohnehin allgemein bekannt seien. Anhand der statistischen Auswertung gelangte man jedoch zu der Erkenntnis, dass die Anwender zwar sowohl Strg-V wie den Kontextmenübefehl "Einfügen" benutzten, jedoch noch in viel größerer Zahl auf den Knopf "Einfügen" in der Symbolleiste klickten. Dieser mit Abstand am meisten geklickte Befehl erhielt daher im neuen Office auch den prominentesten Platz links oben in der Multifunktionsleiste. Auf ähnliche Weise verfuhr man mit der Platzierung aller anderen Befehle und Funktionen.

Zu den am meisten überraschenden Eigenheiten von Office 2007 zählt für den Einsteiger sicherlich der Umstand, dass wirklich alle Befehle in den sieben Reitern der Multifunktionsleiste Platz gefunden haben. Für jeden Anwender bedeutet der Umstieg erstens einen harten Schnitt und erfordert zweitens die Bereitschaft zum Umlernen. Eine Hintertür in Form etwa eines "Legacy"-Modus mit alten Menüs hat Microsoft nicht eingebaut. Immerhin hat man aber Rücksicht auf jene Anwender genommen, die sich statt mit der Maus mit auswendig gelernten Tastenkürzeln durch die Programme hangeln - die alten Kürzel wurden weitgehend beibehalten. Zu den wichtigsten Gestaltungsprinzipien des neuen Interfaces zählen die Gruppierung von verwandten Befehlen (Cluster) innerhalb der jeweils sieben Reiter des Multifunktionsbands sowie die konsequente Beschriftung der Bediensymbole, soweit der Platz dies zulässt. Begleitend dazu haben die Microsoft-Entwickler in Arbeit genaue Regeln definiert, wie Softwareentwickler eigene Multifunktionsleisten im Stil von Office 2007 zu gestalten haben. In den umfangreichen Design-Guidelines wird zum Beispiel erklärt, in welchen Schritten sich Gruppen automatisch zu verkleinern haben, wenn der Anwender das Programmfenster skaliert.

Neuer Kompatibilitätsbegriff lizenzrechtlich geschützt

Auch das Programmiermodell wurde in diesem Zusammenhang konsequenterweise ausgetauscht. Das mit Ofice 97 eingeführte Command-Bar-Objektmodell weicht nun dem RibbonX-Modell, welches mit dem neuen Oberflächendesign korrespondiert. Auf dieser Basis können Office-Entwickler nun eigene Erweiterungen wie etwa Addins für Office 2007 und die Folgeversionen schreiben

Abgesehen von den praktischen Konsequenzen, die eine veränderte Bedienerführung im Büroalltag bedeutet, scheinen auch die strategisch-politischen Zielsetzungen des neuen Ansatzes interessant. Die Tatsache, dass Microsoft das neue User-Interface einerseits lizenzrechtlich schützt, andererseits aber – mit wenigen bemerkenswerten Ausnahmen (siehe Kasten) – eine kostenlose Nutzung des Designs auch auf Fremdsystemen wie Linux und Mac OS einräumt, gibt Anlass zu Spekulationen. Ganz offensichtlich möchte Microsoft hier einen neuen Bedienstandard setzen, der mit Konventionen aus den 70er Jahren bricht. Die offene Lizenz soll dabei möglichst viele Entwickler von allen erdenklichen Plattformen anlocken, gleichzeitig aber die direkte Office-Konkurrenz fernhalten. Falls den Redmondern das gelingen sollte, hätten sie damit auch einen neuen Kompatibilitätsbegriff eingeführt.

Im Gegensatz zu den alten IT-Geschäftsmodellen der 80er und 90er, die auf Hardwarekompatibilität, Plattformkompatibilität und Dateiformatkompatibilität basierten, würde man hier mit UI-Kompatibilität ein Konsistenzmodell auf Basis eines Softwarebedienkonzepts einführen. Ob eine Anwendung dann unter Windows oder Linux läuft, könnte Microsoft dann egal sein, da sie in jedem Fall der Lizenzgeber wären und damit über wie auch immer geartete Einflussmöglichkeiten verfügten.

Die meistgenutzten Befehle in Word 2003

  • Einfügen

  • Speichern

  • Kopieren

  • Rückgängig

  • Fett