Zwischen Flop- und Top-Gehalt

12.12.2007
Von Svenja Hofert
IT-Gehälter entwickeln sich widersprüchlich. Der Abstand zwischen Spitzen- und Normalverdienern vergrößert sich – das ist einer der Trends im zurückliegenden Jahr.

"Wer operativ arbeitet, gehört zu den Verlierern", sagt Bernd Hinrichs, Karriereberater aus Kiel. So ein Verlierer ist Harald Nusser (Name von der Redaktion geändert). Der gelernte Kommunikationselektroniker hatte in seinem vorherigen Job als Systemadministrator fast 50.000 Euro im Jahr verdient. Lange und letztlich vergebens suchte er eine neue Stelle, obwohl er auch mit einem deutlich niedrigeren Gehalt zufrieden gewesen wäre. "Es scheiterte immer daran, dass ich im Vorstellungsgespräch von meinen geforderten 36.000 Euro im Jahr nicht abrückte. 34.000 Euro bot mir ein Dentallabor – mehr war einfach nicht zu holen", sagt Nusser. Auch nicht im Aufschwungsjahr 2007.

Hier lesen Sie ...

  • warum Systemadministratoren zu den Verlierern in Sachen Gehalt gehören;

  • wann mittelständische Firmen Bewerbern oft mehr zahlen müssen;

  • weshalb im Online-Marketing die Gehälter explodieren;

  • welches Risiko ein hohes Einstiegsgehalt birgt.

Auf das Angebot des Dentallabors ließ sich Nusser nicht ein. Weil er keine weiteren Angebote erhielt, arbeitet er inzwischen tageweise auf freiberuflicher Basis und erhält dazu aufstockendes Arbeitslosengeld II für Selbständige. Für den dreifachen Familienvater fallen die Regelleistungen für Hartz IV sogar höher aus, als er mit seinem Beruf netto verdienen könnte. Aber das ist eine andere Geschichte. (1923 Euro beträgt der monatliche Nettolohn bei 34.000 Euro brutto, Steuerklasse III und einem Krankenkassensatz von 15 Prozent. Die Regelleistungen für Hartz IV würden in diesem Fall 2508 Euro ausmachen.)

Trend: Die Kuft wird größer

Zwischen 36.000 und 42.000 Euro pendelt in diesem Jahr das Gehaltsniveau für Systemadministratoren. Manche Unternehmen zahlen aber darunter. Der Grund: Es gibt nach wie vor genug Bewerber, die einfache IT-Tätigkeiten ausüben können. Zudem verdrängen Hochschulabsolventen die Quereinsteiger von den besser bezahlten Posten. "Geringere Verdienstmöglichkeiten bestehen für Basisarbeiten. Dazu gehören Web-Entwicklung, First- und Second Level-Support sowie System- und Netzadministration", bestätigt Thomas Götzfried vom IT-Personalservice Goetzfried AG aus Wiesbaden diesen Trend.

Das ist die eine Seite der Gehaltsmedaille. Wer die Medaille dreht, erkennt eine auf den ersten Blick entgegengesetzte Tendenz. Spezialisten, so berichten Headhunter, können in ihrem Marktsegment regelrecht pokern. So fallen die im Durchschnitt moderaten Steigerungen, die auch die COMPUTERWOCHE in ihrer diesjährigen Gehaltsstudie ausmachte, im Einzelfall höher aus. Ein Beispiel: Ein Berufseinsteiger, der über ein seltenes Cisco-Zertifikat verfügte, forderte vom Inhaber eines Systemhauses ein Jahresgehalt von 90.000 Euro. Gar nicht so ungewöhnlich sei das, kommentiert Karriereberater Hinrichs. Grundsätzlich profitieren vor allem Spezialisten und hochqualifizierte Fachkräfte vom engen Markt.

Vergütungsexperten gehen davon aus, dass die Einkommensschere in der IT-Industrie weiter auseinnandergeht. Quelle: www.personalmarkt.de
Vergütungsexperten gehen davon aus, dass die Einkommensschere in der IT-Industrie weiter auseinnandergeht. Quelle: www.personalmarkt.de

Höher bewertet werden neben den Spezialisten auch die Strategen. Dazu Hinrichs: "Wer strategische Aufgaben, etwa im Management der Geschäftsprozesse, in der IT-Ausrichtungsplanung oder der Integration von Innovationen erfüllt, gehört eindeutig zu den Gehaltsgewinnern."

Jenseits der Nischen ist der moderate Gehaltsanstieg bei den Spezialisten vor allem SAP zu verdanken – wobei das Niveau von 2002 noch nicht wieder erreicht worden ist. Marc Lutz vom Mannheimer Personaldienstleister Hays AG: "Seit Ende 2006 stellen wir einen Trend zu höheren Gehältern fest. Gute IT-Spezialisten können zwischen zehn und 20 Prozent mehr Gehalt verlangen. Der Wettbewerb um gute Profis verschärft sich. "Am meisten gesucht und somit im oberen Gehaltssegment sind Mitarbeiter, die sich auf die SAP-Module HR, FI/CO sowie auf SAP-BW und SAP-APO spezialisiert haben. "Die Gehälter für SAP-Experten im Logistikumfeld (SD/MM) halten sich nach wie vor auf dem Level von 2005", so Lutz. Noch, denn die Nachfrage steigt.

Trend: Spezialisten können pokern

Seltene Qualifikationen und hohe Nachfrage: Diese Kombination sorgt für Gehälter (fast) ohne Grenzen. Ein Beispiel, wie sich Einkommen durch einen akuten Mangel segmentweise hochschaukeln können, lässt sich derzeit im Online-Marketing beobachten. Diese Branche geht nicht in die klassischen IT-Statistiken ein, da sie traditionell dem Marketing oder der digitalen Wirtschaft zugeordnet wird, für die sich mit dem Bundesverband digitale Wirtschaft (BVDW) auch ein Verein verantwortlich fühlt. Da in den Krisenjahren wenig ausgebildet worden ist, giert die mittelständisch geprägte Branche derzeit nach Nachwuchs – und findet ihn längst nicht mehr über Anzeigen, sondern nur noch über Abwerbeaktionen. "Und da zieht nur eins: das deutlich höhere Gehalt im neuen Job", sagt Jürgen Bremer, spezialisierter Headhunter aus Hamburg. Auf diese Weise entsteht ein Sog, in dem sich Gehälter innerhalb eines Jahres schon einmal verdoppeln können. "Wer technische Kenntnisse mit Branchenwissen verbindet, kann im Online-Marketing auch ohne lange Berufserfahrung derzeit schnell 50. 000 Euro und mehr im Jahr verdienen", so Bremer.

Bernd Hinrichs, Karriereberater: Wer strategische Aufgaben erfüllt, gehört zu den Gehaltsgewinnern.
Bernd Hinrichs, Karriereberater: Wer strategische Aufgaben erfüllt, gehört zu den Gehaltsgewinnern.

Für den Bewerber bedeutet der hohe Einstieg oder das Hochschaukeln des Gehalts durch häufigen Jobwechsel – wie derzeit im Online-Marketing üblich - nicht nur einen (Gehalts-) Gewinn, sondern auch Risiko. Die Nachfrage kann sich schnell ändern. "Und dann verdient der Kandidat ein Gehalt, das nicht mehr kompatibel zum Markt ist", so Karriereberater Hinrichs. Auf einem solchen Gehaltsniveau angekommen, klammern sich viele IT-Spezialisten an ihre Jobs, um etwaige Einbußen in Folge eines Jobwechsels zu vermeiden.

Die Internet-Branche zeigt, dass sich der Effekt dann schnell ins Gegenteil verkehren und aus dem Mangel ein Überfluss werden kann. Hier wurden um die Jahrtausendwende viele Mitarbeiter eingestellt, die ihre Kenntnisse aber nur langsam und firmenindividuell entwickelten, während draußen der Wert von Web-Entwicklern bei rasanter Kompetenzsteigerung ständig fiel. "Noch heute verdienen einige um das Jahr 2000 eingestellte Web-Master oder Web-Programmierer 75.000 Euro und mehr", sagt Hinrichs. Auf dem freien Markt seien für diese Tätigkeiten derzeit dagegen kaum noch 40.000 Euro zu erzielen. "Wer das merkt, wechselt seinen Job nicht mehr." In Studien über bereits bezahlte Gehälter macht sich das als Stagnation bemerkbar; zieht man indessen Fachkräfte ein, die einen Job brauchen, zeigt sich eine Rückwärtsentwicklung.

Keine Marke – mehr Gehalt

Nicht nur im Online-Marketing zahlen kleinere Unternehmen höhere Gehälter als vermutet. Die alte Regel, wonach größere Firmen ihre Mitarbeiter besser entlohnen, gilt nur noch bedingt. Gerade Mittelständler, die nicht im Rampenlicht stehen und für Bewerber deshalb weniger attraktiv sind, sehen sich mangels (Bewerber-)Alternative oft gezwungen, den Jobanwärtern mehr Geld zu bieten. Dies gilt vor allem dann, wenn die Firma keine starke Marke besitzt. "B-to-B-Unternehmen sind auf den ersten Blick oft weniger schick und müssen in Sachen Gehalt deshalb drauflegen", erläutert Karriereexperte Hinrichs. Umgekehrt bedeute es, dass begehrte Markenunternehmen oft nicht überdurchschnittlich zahlen (müssen), um Bewerber anzulocken.

Widersprüche in den Studien

Solche Details gehen in den Gehaltsstudien, die durchschnittliche Steigerungen ermitteln, oft unter. So scheinen auch die Ergebnisse der verschiedenen IT-Gehaltsstudien auf den ersten Blick widersprüchlich. Die Vergütungsberatung Kienbaum ermittelte, dass Führungskräfte in der IT drei Prozent mehr verdienten, und ging von einem Niveau von 105 000 Euro aus. Laut der CW-Gehaltsstudie, die in Zusammenarbeit mit der Hamburger Vergütungsberatung Personalmarkt entstand, brachten es die IT-Chefs auf ein Plus von 4,9 Prozent. Eine mögliche Erklärung: Kienbaum befragte vor allem große Unternehmen, während die CW-Studie auch den Mittelstand miteinbezog.

Auch im Hinblick auf die Fachkräfte herrscht ein uneinheitliches Bild. Im Durchschnitt kommen sie in der CW-Studie schlechter weg. "Bei den Fachfunktionen sind die Verdienste über alle Funktionen hinweg relativ konstant geblieben", resümiert Personalmarkt-Geschäftsführer Tim Böger. Die Erklärung für die verhältnismäßig moderate Steigerung dürfte darin liegen, dass funktionsorientiert untersucht wurde, beispielsweise anhand von Positionen wie Projektleitung und Support. Zudem ist das Jahr, in dem der Fachkräftemangel deutlich wurde, statistisch noch nicht sichtbar. Grundlage der Studien von 2007 dürften Gehälter sein, die 2006 ausgehandelt worden sind. Und so zeigen sich die wahren Gewinner 2007 erst im kommenden Jahr. (am)